The Rolling Stones
Some Girls
Eine ergänzte Edition mit vielen Outtakes aus den Sessions
Mit den Sessions zu „Some Girls“ verbindet Keith Richards nur angenehme Erinnerungen. Er habe, erzählt er in seiner Autobiografie, während der täglichen Fahrt zu den Pathé Marconi-Studios von EMI in Boulogne-Billancourt immer Jackson Brownes „Running On Empty“ gehört. Inspiriert hat das die neuen Songs aber nicht, war wohl vor allem Balsam für seine von der Aussicht gepeinigte Seele, demnächst womöglich für längere Zeit in einem kanadischen Knast einsitzen zu müssen. Der Song, der seine notorischen Probleme mit der Justiz thematisierte, war dann „Before They Make Me Run“.
Die restlichen Themen steuerte weithin Mick Jagger bei, Songs über Stricher und die Stimmung in einem zunehmend verwahrlosenden und verarmten New York Mitte der 70er-Jahre, über Dirty Jezebels und andere Mädchen mit „far away eyes“, über geile Schickeria in Washington und Gospel-Sender in Los Angeles, über die der Prediger der Kirche vom Heiligen Blutenden Herzen Jesu (!) Glückseligkeit gegen Bargeld verspricht. Das fast schon obligatorische Temptations-Cover war die ausnehmend gut gelungene Deutung von „Just My Imagination (Running Away With Me)“, die zweite hochkarätige Ballade „Beast Of Burden“. Dem Zeitgeist folgte man ungemein erfolgreich mit „Miss You“.
Der alles bestens überwachende Tonmeister Chris Kimsey fand die Akustik des Probenraums, in dem die Band ab 10. Oktober 1977 für die nächsten Monate arbeitete, so hervorragend, dass der für ein „richtiges“ Studio plädierende Mick Jagger sich nicht durchsetzte. Wenige Wochen nach den Mixes im New Yorker Atlantic-Studio war die LP umgehend im Handel. Schließlich stand die nächste US-Tournee an.
Von den auf vielen Bootlegs zirkulierenden gut drei Dutzend Outtakes der Sessions präsentiert die Deluxe-Edition eine kleine Auswahl, nicht durchweg neue. „So Young“ (Jagger noch mal auf das Thema des „Stray Cat Blues“ zurückgekommen) war schon Single-B-Seite von „Love Is Strong“ und auch „Out Of Tears“, dort allerdings in erbärmlicher Klangqualität. „Some People Tell Me“ hat jetzt einen neuen Text und den Titel „Keep Up Blues“. Das ist ein Doppelgänger von „Stop Breaking Down“. „Claudine“ (höhnische Ode an Claudine Longet, Ex-Ehefrau von Andy Williams, die ihren Liebhaber erschoss, aber kaum einsitzen musste) traute man sich jetzt endlich doch zu veröffentlichen. So affektiert wie Jagger „I Love You Too Much“ vorträgt, dementiert er geradezu, was er da singt. Viel Gefühl legt dagegen Keith in seine Deutung der großen Troy-Seals-Donnie-Fritts-Ballade „We Had It All“. (Allerdings liegt die auch in einiges besseren Aufnahmen von Dobie Gray und Scott Walker vor.) Stilvoll musiziert die Band „Tallahassee Lassie“, den Freddy-Cannon-Hit von 1959. Die vierte Cover-Version – Hank Williams‘ „You Win Again“ – tendiert dank Mick Jaggers leicht ironisch überrissenem Vortrag in Richtung Parodie. Den Job hätte doch besser Country-Fan Keith übernehmen sollen.
Bleibt die Frage, warum einige der besseren Outtakes im Archiv blieben. Anstelle der „Petrol Blues“-Skizze hätte man sich eher ein paar der berühmteren wie „Fiji Jim“ – endlich einmal fertig produziert und remixed – offiziell nachgereicht gewünscht. (Universal)