„The Outrun“ – Im Auge des Sturms

Die Filmadaption von Amy Liptrots Alkoholismus-Autobiografie überzeugt trotz kleiner stilistischer Schwächen.

Die Sucht bricht über dich herein und kehrt so sicher zurück wie der rauschende Wellengang. Durch Filme wie Thomas Vinterbergs „Der Rausch“ (2020) oder Markus Gollers „One for the Road“ (2023) ist das Thema Alkoholmissbrauch im europäischen Kino wieder sehr präsent. Mit „The Outrun“ wirft Nora Fingscheidt nun einen bewusst weiblichen Blick auf das Thema. Anders als die genannten Werke verzichtet sie dabei fast vollständig auf eine humoristische Eingrenzung.

Im Zentrum steht – wie auch in der gleichnamige Autobiografie und Buchvorlage der Schottin Amy Liptrot – ein innerer, in rauer Umwelt ausgetragener Konflikt. Der Rückzug der etwa zehn Jahre lang alkoholabhängigen Journalistin auf die schottischen Orkneyinseln (ihrem Geburtsort) leitete für sie eine Lebensphase der Selbstreflexion und Distanz zu ihrem hedonistischen Leben in London ein. Literarisch mündete es in Beobachtungen von Wetterextremen auf dem Archipel hinter der Nordküste Schottlands und einer überschaubaren, aber dennoch faszinierenden Fauna. Man nennt das „Nature Writing“ – Naturlyrik.

Fingscheidt inszeniert das Sich-Aussetzen der namentlich abgewandelten Protagonistin Rona in dieser dünn besiedelten Region mit den passenden Bildern schmuckloser Häuser, nackter Küstenlandschaften, Seehundeköpfe und wehender Wiesen. So authentisch und roh diese Eindrücke sind, so überstilisiert wirken ein paar der Rückblick-Sequenzen in London. Klar, die Verwendung von Unschärfe für den Rauschzustand ist mehr als passend. Aber der Zusammenschnitt des verrotteten Apfels in Ronas heruntergekommener Wohnung wirkt etwas zu gewollt künstlerisch. Ähnliches gilt für teilweise willkürliche Pupillen- oder Mund-Close-ups.

Sairose Ronan trägt „The Outrun“ ganz allein

Sinnvoller ist wiederum die unchronologische Erzählweise. Denn durch die Vermischung der Ausschnitte aus Ronas Kindheit, ihrem exzessiven Leben in London und dem Klinikentzug gewinnen wir ein besseres Gefühl für die Entstehung und umständliche Aufarbeitung ihres Suchtverhaltens. Ein sich durch alle Abschnitte ziehendes Narrativ ist außerdem die Dominanz religiöser Glaubenssätze bei den Anonymen Alkoholikern und Ronas Mutter. Dass ihre Tochter kein Interesse an Gott zu haben scheint, ist offensichtlich.

Da Sairose Ronans in nahezu jeder Szene zu sehen ist, steht und fällt „The Outrun“ mit ihrem Spiel. Größtenteils ist dieses beklemmend. Vor allem in den Momenten ihrer Zurückgezogenheit, in denen die Unruhe und das Hadern mit der Vergangenheit hervortreten. Die Darstellung der Alkoholeskapaden muten zwar erschütternd, dann aber auch ein wenig zu theatralisch an. Trotzdem schafft es die irisch-amerikanische Schauspielerin, ihre komplexe Figur durch den knapp zwei Stunden langen Film zu tragen.

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Der unaufhörliche Kampf mit der Sucht

„The Outrun“ endet mit einer starken Montage, in der Rona ihre durch die Sucht bestimmte Existenz als ebenso natürlich begreift wie die wilde See um sie herum. Potenzielle Rückfälle gehören für immer zu ihrem Leben und kein Tag wird, wie es ein älterer, ebenfalls trockener Bewohner formuliert, leichter als der letzte. Nur etwas weniger schwer. Die dirigierende Frau und dagegen geschnittenen Wellen- und Unterwasser-Shots entlassen einen mit einer merkwürdigen Mischung aus Hoffnung, Schwermut und nüchterner Akzeptanz.

Insgesamt lässt sich der Film nicht nur wegen seines Themas, sondern auch wegen dieses ausdrucksstarken Schlusses mit „Der Rausch“ vergleichen. Mikkelsens euphorische Tanzeinlage richtete sich dabei eher an die Gelegenheitstrinker. Dieses persönlichere Porträt kennt jedoch kein ausgewogenes Trinken  – sondern nur Abstinenz, die man ertragen muss wie einen Sturm.

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