The Murder Capital
„Blindness“
Human Season (VÖ: 21.2.)
Große Songs der Iren, ohne unnötigen Ballast.

Am zweiten Album hat sich das Quintett aus Dublin leicht verhoben. Die Folge: kreative Zerrungen. Dabei war „Gigi’s Recovery“ (2023) überaus gelungen. Doch auf Tour stellten The Murder Capital bald fest, dass sie die Songs anders spielen mussten, um live den passenden Ton zu finden. Die Band befand: Die Studioversionen waren überfrachtet. Das sollte ihnen nicht wieder passieren. „Piss or get off the pot!“: So formuliert Sänger James McGovern seine neue Philosophie in bester irischer Gossenpoesie. Folgerichtig klingt „Blindness“ dringlich, dreckig, rauschhaft – und ist trotz der rasanten Eröffnung „Moonshot“ kein Post-Punk-Schnellschuss geworden.
The Murder Capital sind nach (oder neben?) Fontaines D.C. die beste irische Band der Gegenwart
Das neue Album versprüht einerseits den Willen zur Ursprünglichkeit: nichts verkomplizieren oder mit Overdubs vollstopfen. Großartig, wie sich in „That Feeling“ E-Gitarren aus dem Mumpf eines schimmligen Proberaums wühlen. Andererseits können The Murder Capital Songs schreiben. Und was für welche! Das grungige „Words Lost Meaning“ wächst sich zur schönsten Hymne der Platte aus. McGovern geht es um die Abnutzungserscheinungen und Vermeidungsstrategien, die den berühmten drei Worten anhaften. Aber es geht ihm auf „Blindness“ auch immer wieder darum, sich nicht aus Wut (über politische oder auch ganz private Dramen) den Blick fürs Wesentliche vernebeln zu lassen. Und darum, manchmal wieder mit den vermeintlich naiven Augen eines Kindes auf die Welt zu blicken.
Die kaputte Ballade „Love Of Country“ stellt die Frage, ob patriotische Gefühle Rassismus und Gewaltfantasien nähren: „Could you blame me for mistaking your love of country for hate of man?“ Das messerscharfe „Death Of A Giant“ ist eine Hommage an Shane MacGowan, inspiriert von der Prozession durch Dublin, bei der sich Tausende Menschen von dem großen Pogues-Sänger verabschiedeten. The Murder Capital sind nach (oder neben?) Fontaines D.C. die beste irische Band der Gegenwart.
Diese Review erschien im Rolling Stone Magazin 3/25.