The Jayhawks
Paging Mr. Proust
Noch einmal schwingen sich Gary Louris und die Jayhawks zu einem großen Album aus Melodie, Americana und Sentiment auf
Man sagte immer, dass die Jayhawks am besten waren, als Mark Olson noch dabei war, also bis „Tomorrow The Green Grass“, 1995 – was, von heute aus gesehen, als lächerlich kurze Zeit erscheint, denn die Band hatte 1986 das erste Album veröffentlicht. Im Jahr 2008 brachten die zerstrittenen Kameraden Gary Louris und Mark Olson eine gemeinsame Platte heraus, allerdings nicht als Jayhawks, „Ready For The Flood“, und es war fast wie früher: Die Songs waren noch immer herzzerreißend, aber sie hatten nicht die Orgel und Louris‘ Rickenbacker-Gitarrenspiel und nur selten das Piano. Die Olson-Louris-Lieder waren die zierlichere Schrumpfform des großen Jayhawks-Sounds.
Gary Louris wollte immer den großen Entwurf, die unwiderstehliche Melodie, das Schwelgen von Big Star, den Byrds und R.E.M., während Olson die ländliche amerikanische Tradition verfolgte, das Picking, das Banjo, den Appalachian Folk, die Hütte im Nirgendwo, das Singen für sich selbst und ein paar Getreue. Louris wollte erfolgreich sein, er sah sich bei Tom Petty – Olson wollte ganz bei sich (und eine Weile bei seiner Frau, Victoria Williams) bleiben. Beide hatten recht. Mark Olson ist praktisch weg, Gary Louris ist so da, wie er sehr lange nicht da war.
„Paging Mr. Proust“, von Peter Buck mit sicherer Hand mitproduziert, führt die Melodien, die Americana, den Pop, die Psychedelia und das Intellektuelle so zusammen, wie es tatsächlich nur Tom Petty (gut, ohne das Intellektuelle) gelingt. Louris ist ein Sentimentalist, der das schreiben kann, was man heute Überwältigungs-, wenn nicht Umarmungsmusik nennt. „Lovers Of The Sun“, „Pretty Roses In Your Hair“, „Isabel’s Daugh-ter“, „I’ll Be Your Key“: Vielleicht sind diese sonnendurchfluteten, weizenfeldwogenden, unendlich sehnsuchtsvollen Songs nur Liebeslieder. Aber was sind die schönsten Stücke von Big Star, was sind die größten Songs der Jayhawks –„Crowded In The Wings“, „Two Angels“, „Bad Time“, „Real Light“ – anderes? Sie verströmen sich, sie heben die Zeit auf, sie kennen nur das Jetzt.
Von „Formel“ mag man nicht sprechen. Oder doch: Wenn Gitarrenrock, Harmoniegesang und Sentiment so virtuos in eins gesetzt werden, dann ist Jayhawks-Zeit. Das futuristische Cover-Motiv, der nirgendwo richtig aufgenommene, ja aufgelöste (und nicht sehr witzige) Witz mit Marcel Proust und das repetitiv-psychedelisch dräuende „Ace“ behaupten Ironie, Dekonstruktion, Modernismus. Ist aber eigentlich nie bei den Jayhawks. Das einzige Paging bleiben die Seiten des alten Songbuchs.