The Dream Syndicate
„The Days Of Wine And Roses“
Fire (VÖ: 23.6.)
Retro-Retro aus Los Angeles: Eine Rückschau auf die Genese des Paisley Underground
Die innovative Kraft des Punk ist weitgehend verpufft. Nicht nur in der englischsprachigen Musikwelt entstehen zu Beginn der 80er-Jahre allerlei Subströmungen, von den schattig gestylten New Romantics in London bis zum Hardcore in Washington/D.C., wo mit den Bad Brains schwarze Dreadlock-Kids das von Weißen dominierte Rock-Lager aufmischen. Die Antwort aus L.A. klingt weit weniger brachial und wird aufgrund eines amöbenförmigen Musters aus den späten Sechzigern „Paisley Underground“ getauft. Eines jener zahlreich ausfransenden Subgenres des Post-Punk.
Irgendwas mit Sixties-Garagen-Romantik
Laut Geschichtsschreibung hat der Sänger und Songwriter Michael Quercio der nerdigen Band The Three O’Clock diesen Begriff etwa 1982 in die Welt gesetzt. Seitdem werden Formationen wie Green On Red, The Long Ryders, Rain Parade und die später im Gitarrenpop hocherfolgreiche Frauenband The Bangles unter „Paisley“ gelistet. Man könnte auch sagen: irgendwas mit Sixties-Garagen-Romantik. Das Quartett The Dream Syndicate, formiert um 1983 mit den zentralen Gitarristen Steve Wynn und Karl Precoda, gehört ebenfalls zu den VIPs dieses US-Subgenres, das bis zu den Shiny Gnomes aus Nürnberg auch in Europa musikalische Verästelungen hervorbringt.
Nun veröffentlicht die Band eine schmucke Jubiläumsbox ihres Debütalbums, „The Days Of Wine And Roses“. Das im deutschsprachigen Raum via Import erhältliche US-Format enthält als physisches Produkt (sonst als Digitalpaket) in der „Expanded Edition“ 54 Original-Tracks, darunter zehn gesuchte Raritäten, und 31 bislang unveröffentlichte Aufnahmen. Dazu gibt es 30 Seiten Linernotes von Bandchronist Pat Thomas, seltene Fotos und Tourplakate sowie aktuelle Interviews mit Ur-Bassist Kendra Smith, Tontechniker Paul Cutler und Produzent Chris D. – kurzum die volle Fan-Breitseite.
In merkantiler Hinsicht sind The Dream Syndicate im Spezialistensegment verblieben
Zaungäste dieser Retro-Bewegung dürfen schnörkellos schnellen Rock mit Velvet-Underground-Anmutung erwarten. Die damalige Coverversion von Buffalo Springfields „Mr. Soul“ markiert den anderen Eckpunkt des Syndicate-Spektrums. Wenn man heute in die schroff scheppernden Songs von „The Days Of Wine And Roses“ reinhört, fällt eine Epochenzuordnung zunächst schwer. Hat insbesondere Steve Wynn in den Jahrzehnten nach dem ersten Bandsplit im Jahr 1989 eine vielschichtige Langzeitkarriere hingelegt, so stehen die Sturm-und-Drang-Jahre für wilden Pilzkopf-Rock’n’Roll mit Krachgitarren.
Ein aktueller Check beim Videokanal YouTube zeigt den Song mit den höchsten Abrufwerten: „Tell Me When It’s Over“. Ein Minihit indes. In merkantiler Hinsicht sind The Dream Syndicate, trotz zeitweiligem Major-Deal bei A & R und weltweitem Tourneebetrieb, im Spezialistensegment verblieben. Die Rückschau enthält sowohl brachiale Proberaumklopper als auch Versuche der Band, die urige Garagen-Atmo mit mehr Finesse auszustatten. Durch die enge Vernetzung der Paisley-Szene, insbesondere zu Green On Red und The Long Ryders, entstanden zahlreiche Kooperationen und Outtakes, die hier ebenfalls punktuell eingefangen sind.
In einem Interview mit dem Onlinedienst „Pop Matters“ 2020 erinnerte Wynn sich an das Erbe seiner Band: „Auf den ersten Platten nach Dream Syndicate habe ich es vermieden, irgendetwas zu machen, das so klang wie der Sound von damals. Doch als ich mit dem Album ‚Melting In The Dark‘ ins Studio ging, war ich wieder bereit, zum puren Sound von Gitarren, Bass und Schlagzeug zurückzukehren.“ Eine lebenslange Liebe, deren Honeymoon-Ära hier gedacht wird.