The Byrds – Untitled/Unissued :: Die Platten nach ihrer ganz großen Zeit: immerhin noch Überraschungen
Diese sechs Studio-LPs, welche die Byrds zwischen August 1965 und September 1968 veröffentlichten, gehören nach allgemeinem Konsens zu den größten der Rockmusik überhaupt, obwohl sie in ständig wechselnden Besetzungen aufgenommen worden waren. Ein halbes Jahr später läutete „Dr. Byrds And Mr. Hyde“ die Clarence-White-Ära ein. Aber bis zur Mitte 1972 knüpfte die Band, von deren Gründungsmitgliedern nur noch Roger Mc-Guinn übrig geblieben war, allenfalls mit zwei Platten „The Ballad Of Easy Kider“ und „Untitled“ an die Form der Jahre zuvor an. Für die Tatsache, dass Meisterwerke wie „Mr. Tambourine Man“ oder „The Notorious Byrd Brothers“ nimmer gelingen wollten, hatte natürlich jedes Bandmitglied andere Erklärungen während dieser oft chaotischen Phase. In „Timeless Flight Revisited“, Johnny Rogans monumentaler Monografie, wird etwa Drummer Gene Parsons mit der Behauptung zitiert, das letzte Studio-Album „Farther Along“ sei wohl leider etwas „under-produced“.
Womit er die Tatsachen auf den Kopf stellte. Nach dem Fiasko des weithin hoffnungslos überproduzierten „Byrdmaniax“ -das ein weit besseres Album hätte werden können, wie die jetzt erstmals veröffentlichten, nicht mit Streichern und Chören zugekleisterten Outtakes der Sessions belegen – wollte man mit einer Low-Budget-Produktion zur Form glorreicherer Zeiten zurückkehren. Bloß waren etliche der Songs schlicht „underwritten“ mit Demo-Charakter. Immerhin klingt die Remaster-Edition von „Farther Along“ (Columbia Legacy ACK 65849, 3,0) nicht so schrecklich muffig und höhenschwach wie frühere CD-Remakes, die offensichtlich von lausigen Kopien überspielt worden waren. Auch „Byrdma«wx“(Columbia Legacy ACK 658-48, 2,0), auf der die als Bonus-Track nachgelieferte Originalaufnahme von „Pale Blue“ die beste überhaupt ist, profitierte von der Neuüberspielung.
1969, auf Promo-Tournee für das Flying Burrito Brothers-Debüt „The Gilded Palace Of Sin“, griffen Chris Hillman und Gram Parsons Byrds-Boss McGuinn öffentlich an: Diese Band habe eigendich zu existieren aufgehört, und im Übrigen sei der Ex-Kollege schlicht und ergreifend alles andere als ein glaubwürdiger Interpret von Country Music. GP hatte ganz besondere Gründe für seine vehementen Attacken. Auf Befehl des Columbia-Managements waren seine Gesangsaufnahmen auf „Sweetheart Of The Rodeo“
durch neue Overdubs von McGuinn ersetzt worden. Ein völlig absurder Vorgang und eine krasse Fehlentscheidung dazu, wie die Originalaufnahmen auf dem Box Set von 1990 bewiesen.
Mit dem erstmals veröffendichten Konzertmitschnitt „Live At The Fillmore – February 1969“ (Columbia Legacy ACK 65910, 2,0) liefert jetzt der Plattenkonzern eigentlich den nachträglichen Beleg für Parsons‘ Behauptungen nach. Während der neue Gitarrist Clarence White hier absolut in Top-Form spielte, wirkt McGuinn stimmlich ziemlich von der Rolle – teilweise regelrecht ausgebrannt. Zu diesem Zeitpunkt dominierte im Bühnenrepertoire weitestgehend das Songmaterial der Country-Phase. Aber authentisches Country-Flair wollte sich da kaum einstellen. Schlimmer: Byrds-Klassiker wie „Time Between“ (Chris Hilknans erster Song überhaupt, mit Clarence White als Leadgitarrist Jahre zuvor für „Younger Than Yesterday“ aufgenommen) ruinierte er regelrecht durch seine so desolate Interpretation. Von Bob Irwin und McQuinn coproduziert, ist der Mitschnitt für Fillmore West-Verhältnisse der Zeit klangtechnisch halbwegs passabel. Aber deswegen trotzdem allenfalls ein Souvenir für unerschütterliche Byrds-Fans.
Denn parallel wieder veröffentlicht wurde jetzt auch das seinerzeit aus einer Studio- und einer Live-LP kombinierte Doppelalbum „Untitled“ von 1970: als Doppel-CD mit dem Titel “ Untitled/Unissued“. Wieso McGuinn, der manche Tief-Phasen schon in dem Song „Bad Night At The Whiskey“ autobiografisch verarbeitet hatte, Monate nach dem Fillmore-Desaster als Sänger wieder zu Form auflief, ist ein Geheimnis, das er bis heute selber nie lüften mochte. Das Comeback, bei dem Clarence White wie immer meisterlich musizierte und die Byrds sich wieder als richtig verschworene und eingespielte Band präsentierten, dokumentiert die Remaster-Ausgabe in weit besserer Klangqualität als Vinylpressungen und CDs zuvor.
Die eigentliche Überraschung aber ist die zweite „Unissued-CD“: sechs Studioaufnahmen (Alternativ-Takes u. a. von „Kathleen’s Song“ und Studioversionen von „Lover Of The Bayou“ und dem Lowell-George-Evergreen „Willin'“) sowie neun – ebenfalls hier erstmals veröffentlichte – Live-Mitschnitte, von denen acht das konzertante Material von „Untitled“ teilweise gar noch übertreffen.