Terry Callier
„About Time – The Terry Callier Story“
Vielleicht wäre er gerade noch zur rechten Zeit als neuer Stern am Folk-Music-Firmament entdeckt worden, hätte Vanguard-Boss Samuel Charters das schon fertig eingespielte Debüt „The New Folk Sound Of Terry Callier“ 1964 auch sofort veröffentlicht. Aber er verschlampte das regelrecht, brachte es erst 1968 raus, als der Folk-Boom- und das nicht nur wegen Dylans programmatischem Auftritt 1965 in Newport- seinen Höhepunkt überschritten hatte.
Was auch Callier bemerkte. Aber deswegen wechselte er nicht aus irgendwelchen kommerziellen Erwägungen das Fach, entwickelte sich vielmehr in kürzester Zeit zu einem sängerischen Allround-Talent. Die zehn für diese Retrospektive ausgewählten Songs der Jahre 1966 bis 1973 (für das Chess-Sub-Label Cadet) weisen ihn als einen Meister aus, der damals nie die verdiente breitere Anerkennung fand.
Nicht für das bluesige „You Goin‘ Miss Your Candyman“ mit den Parallelen zum jungen Tim Buckley und nicht für das beseelt gesungene „Look At Me Now“. „Ordinary Joe“ war Pop von Bacharach/David-Kaliber, die majestätische Ballade „Ordinary Rain“ damals ganz nebenbei auch eine Steilvorlage für Scott Walker. Nicht nur der Scat-Gesang, sondern die ganzen neun Minuten von „Dancing Girl“ mit dem jazzigen Arrangement erinnern schon sehr an „Astral Weeks“, und beim Titelsong der zweiten Cadet-LP „What Color Is Love“ klang das, was Produzent Charles Stepney das Orchester musizieren ließ, wie Gil Evans auf Soul-Music-Seitenstraßen.
Das Ergebnis war ein moderner Pop-Standard. Das hier erstmals überhaupt veröffentlichte „Hangman“, knapp neun Minuten Folk-Jazz, bei dem man klugerweise keinerlei Angaben zum Komponisten macht, basierte garantiert auf demselben Traditional wie „Gallows Pole“ auf dem dritten Led Zeppelin Album. Auf diesen Stil-Mix sollte Callier später oft höchst überzeugend zurückkommen.
wer sich von der sängerischen Klasse des Terry Callier überzeugen will, darf hier auch direkt Track 9 anwählen, um zu bestaunen, was der aus Duke Ellingtons „Satin Doll“ machte. Bei „I Just Can’t Help Myself (I Don’t Want Nobody Else)“, der vorletzten Cadet-Aufnahme hier, kann man blindlings auf die Idee kommen, dass Produzent dieser Soul-Ballade Marvin Gaye war. Blieb nur die Frage: Was sollte irgendwer beim Label mit solchem Material machen, nachdem Marshall Chess schon seit Jahren auf großer Tournee mit den Rolling Stones weltweit und weder Folk- noch Jazz-Fan war?
Auch das an Tim Hardin und wieder Tim Buckley erinnernde „Until Tomorrow“ hatte mit der klar umrissenen corporate identity dieser Label-Familie so überhaupt gar nichts gemeinsam. Mit dem Ausverkauf an die All Platinum Group war Callier erst mal arbeitslos. Die beiden Elektra-LPs der Jahre 1978/79 (zwei Kostproben aus denselben hier) waren kein Reset für seine schon so lange dümpelnde Karriere.
Da ging er lieber erst mal in einen sehr langen Vaterschaftsurlaub, bevor er sich als Computer-Programmierer verdingte. Von Beth Orton, Paul Weller und Fans der englischen Northern-Soul-Fraktion wiederentdeckt, riskierte er tatsächlich spät ein Comeback als Sänger. Bereuen musste er das nie. (BGP/soulfood)
Franz Schlöer