Sufjan Stevens :: Live im Admiralspalast in Berlin
Bei seinem Auftritt am Mittwoch (16. September) in Berlin gelingt es Sufjan Stevens mit sakralem Sound und ätherischen Songs sein Publikum erst zum atemlosen Schweigen zu bringen, um es dann aus den Sitzen zu reißen.
Es gibt diese Konzerte, vor denen eigentlich fast alle Besucher mit einer eigentümlichen Neugier und einer geradezu heiteren Anspannung befallen werden. Man spürt das anhand eines unerklärlichen Kribbelns auf der Haut, wenn man den Saal betritt. Zumeist tritt dieses Gefühl bei jenen Musikern auf, von denen man weiß, dass sie auf dem Höhepunkt ihrer Schaffenskraft angekommen sind.
Sufjan Stevens ist so ein Fall, denn der Musiker aus der Autostadt Detroit erweitert mit großer Selbstverständlichkeit eigentlich mit jedem neuen Album sein musikalisches Repertoire und ist, das darf man so sagen, einer der interessantesten Musikkünstler Amerikas. Während auf „The Age Of Adz“ noch komplexe elektronische Spielereien die etablierten Americana- und Spieldosenklänge dekonstruierten und damit ein neues Fundament für Stevens Konzeptkunst schufen, ist die neue Platte „Carrie & Lowell“ eine berückende und jederzeit zärtliche Liebeserklärung an seine verstorbene Mutter und seinen Stiefvater.
Während die Französin Mina Tindle den Abend im selbstverständlich ausverkauften Berliner Admiralspalast mit Liedern irgendwo zwischen Bon Iver und zärtlich gehauchten French-Pop formidabel einleitet, wird es geradezu totenstill im Saal, als Sufjan Stevens die Bühne betritt. Man kann so etwas Erwartungshaltung nennen. Und manche sensiblen Musiker sind an so etwas schon zerbrochen.
Doch der 40-Jährige, den man aus der Entfernung mit seiner Basecap und seinem ausgewaschenen T-Shirt locker noch auf 30 schätzen würde, gehört nicht zu den sentimentalen Geschöpfen auf diesem Planeten. Seine Melancholie ist selbstsicher und keine Spur kitschig. Und so sind auch seine neuen Stücke ganz und gar nicht affektgesteuert, sondern auf konsequente Art und Weise intim und direkt.
Mit sichtbarer Konzentration und einem fantastischen, geradezu meditativen Sound spielt der Sänger mit seiner Band jeden einzelnen Song von „Carrie & Lowell“, wobei manche davon zwar zunächst ätherisch eingeleitet werden, dann aber, oft erst kurz vor Schluss, einen völlig anderen, vorpreschenden, zuweilen sogar rumpeligen Rhythmus gewinnen.
Natürlich bleiben „No Shades In The Shadow Of The Cross“ (einer der schönsten, weisesten Songs, die Stevens in seiner Karriere geschrieben hat) oder „Carrie & Lowell“ trotzdem so geisterhaft, einfühlsam und betörend, wie sie es ja auch auf dem Album sind. Dazu trägt auch bei, dass sich die Band bemüht, den hohen Ton und die sakrale Atmosphäre der LP möglichst adäquat auf die Bühne zu übertragen. Eine raffinierte Lichttechnik und eine exquisite Bildprojektion, bei der Super-8-Filme aus der Kindheit des Sängers, aber auch verlorene Landschaften, vor Orgelrohren ähnelnden Rechtecken ausgespielt werden, unterstützen den intensiven Vortrag. Es wirkt ein wenig so, als würde man durch ein Kirchenfenster auf eine Welt blicken, die unglaublich vertraut wirkt. Selten hat man mit so wenig Aufwand eine derart stimmige Show gesehen, auch wenn das Wort „Show“ unpassender nicht sein könnte. Vielleicht sollte man es doch eher eine Messe nennen.
Denn Stevens, dessen Stimme mühelos auch die kraftraubenden Passagen seiner neuen Songs meistert (zu bestaunen in „Death With Dignity“ oder „Fourth Of July“), ist so sehr fokussiert auf seine Musik, dass er sich erst nach 90 Minuten beim Publikum für dessen (atemlose!) Aufmerksamkeit bedankt. Dass hat es zuvor mit einer auf 14 Minuten gestreckten und mit unruhigen, pulsierenden Elektronik-Passagen zerlegten Fassung von „Blue Bucket Of Gold“, dem Schlusssong auf „Carrie & Lowell“, aus den Sitzen gerissen. Als Zugabe gibt es noch ein paar Oden aus der Vergangenheit (z.B. „Concerning the UFO Sighting Near Highland, Illinois“, traumverloren und ganz allein am Klavier) und eine kurze Ansprache an seine Hörer, in der er erzählt, dass es ihm ein großes Anliegen sei, sein Talent, seine Gedanken und seine Gefühle mit den Menschen zu teilen.
Man glaubt ihm dies aufs Wort – und ist zugleich beeindruckt, wie sehr sich bei ihm Sprech- und Singstimme unterscheiden. Der Abend, dem am Donnerstag (17. September) ein weiterer an der selben Stätte folgt, beweist nur einmal mehr, dass Sufjan Stevens das Spiel zwischen authentischem Singer-Songwriter-Handwerk und anspruchsvollem Kunstgewerbe wie kein anderer Musiker in dieser Zeit beherrscht. Man wünscht sich geradezu herbei, dass der Amerikaner seine ironische Ankündigung, jedem US-Bundesstaat eine eigene Platte zu widmen, wahrmachen würde. Denn das hieße, dass noch weit mehr als 40 Alben auf uns zukämen. Das wäre ein unschätzbares Geschenk.
Setlist:
Redford (For Yia-Yia & Pappou)
Death With Dignity
Should Have Known Better
Drawn to the Blood
Eugene
The Only Thing
Fourth of July
John My Beloved
No Shade in the Shadow of the Cross
Carrie & Lowell
The Owl and the Tanager
All of Me Wants All of You
Vesuvius
Blue Bucket of Gold
Zugabe:
Concerning the UFO Sighting Near Highland, Illinois
Heirloom
For the Widows in Paradise, For the Fatherless in Ypsilanti
Futile Devices
John Wayne Gacy, Jr.
Chicago