Arcade Fire
Reflektor
Universal
Heiß ersehnt: Reflektor von Arcade Fire - ein Doppelalbum der Alternative-Rock-Stars.
>>> ROLLING STONE November 2013 – Titelstory: Arcade Fire.
Arcade Fire sind Überwältigungskünstler. Schon die erste Single ihres vierten Albums war über sieben Minuten lang, hatte David Bowie als Gast und ein Google-unterstütztes interaktives Video als Beigabe. Dazu die Nachricht: „Reflektor“ wird ein Doppelalbum. Die Songs tragen Titel wie „We Exist“, „Porno“ und „Afterlife“ – es geht also tatsächlich um ALLES. Win Butler und Régine Chassagne sind dabei übrigens in den Rollen von Orpheus und Euridyke zu hören. Gegen so viel bedeutungsvolles Pathos ist selbst „Joshua Tree“ Bubblegum.
„Reflektor“ beginnt mit dem Titelstück. Ein mittelmäßiger Song, aber ein Wahnsinnstrack. Dahinter steckt wohl der Produzent James Murphy (Ex-LCD Soundsystem), der der Band gezeigt hat, wie man Spannung aufbaut, indem man einen Track langsam zum Höhepunkt treibt, statt – wie auf dem gefeierten Vorgänger „The Suburbs“ – gleich mit der Tür ins Haus zu fallen. Auf „Reflektor. Vol. 1“ funktionieren alle Stücke nach diesem Prinzip. „We Exist“ schraubt sich an einem „Billy Jean“-Groove in die Höhe, „Flashbulb Eyes“ beginnt als vernebelter Lee-Scratch-Perry-Dub, „Normal Person“ als „ This Notes For You“-Bar-Blues, „You Already Know“ als Smiths-Jingle-Jangle – und am Ende hat sich jeder dieser epischen Tracks in eine Arcade-Fire-Hymne verwandelt. Das überragende „Here Comes The Night Time“ klingt wie Vampire Weekend, die mit einem ABBA-Klavier den alten Them-Hit spielen, „Joan Of Arc“ führt von indischem Getute über Garagenrock zu 80s-Pop.
Nach sieben Stücken hat man ein Schleudertrauma, und Arcade Fire schalten für „Reflektor. Vol. 2“ ein paar Gänge runter. Die zweite Platte ist geradezu minimalistisch: Brian-Eno-Ambient, Peter-Gabriel-Ethno und „Fear Of Music“-Talking-Heads hört man hier heraus. Wenn da nicht der ein oder andere Heilsarmee-Chor wäre und die Stimme von Win Butler, die bei jedem Song wie ein Granitblock im Zentrum steht, würde man wohl von einer Neuerfindung sprechen. Erst der Gospel-Funk „Afterlife“ ist kurz vor Schluss wieder Arcade Fire in Reinform. Im meditativen „Supersymmetry“ geben Win und Régine schließlich das durch den Tod getrennte Liebespaar und gegen Ende klingt der Synthesizer wie eine Kirchenorgel.
Arcade Fire sind durch den Spiegel gegangen. Auf der anderen Seite haben sie sich selbst gefunden.