„Stowaway“: Verkopfter Ethik-Grundkurs im Weltall
Das Weltraumdrama „Stowaway“ will moralische Grundsatzfragen von Leben und Tod beantworten. Bei all den philosophischen Ambitionen vergisst Regisseur Joe Penna leider, eine überzeugende Geschichte zu erzählen.
Die Rezension enthält Spoiler zur Handlung des Films
Weltraumfilme mit Tiefgang erfreuen sich in letzter Zeit immer größerer Beliebtheit. Den ausufernden Raumschlachten des Sci-Fi-Action-Genres werden langsam erzählte Charakterstudien entgegengesetzt, die die Einsamkeit des Alls nutzen, um die menschliche Psyche zu ergründen. Danny Boyles „Sunshine“ und der in Deutschland leider komplett untergegangene „Ad Astra“ (Brad Pitt als sensibler Weltraum-Philosoph) sind nur zwei sehenswerte Beispiele. Die Prämisse ist dabei selten von Belang – irgendwer fliegt irgendwo hin, vorzugsweise zum Mars, um dort irgendetwas zu tun. Was wirklich zählt, ist die emotionale Reise, auf die sich die Protagonisten begeben. Klingt kitschig, ist oft auch so.
Ethik-Grundkurs im Weltall
Mit „Stowaway – Blinder Passagier“ treibt Regisseur Joe Penna („Arctic“), der auch das Drehbuch verfasst hat, diesen Trend auf die Spitze. Für das Vier-Personen-Kammerspiel sei es letztlich egal, ob die Handlung in einem Raumschiff, einem U-Boot oder einem Bunker stattfinde, sagt Penna selbst. Die klaustrophobische Enge eines abgeschotteten Space-Shuttles wird in „Stowaway“ zum Raum für philosophische Gedankenexperimente.
Was geht in jemandem vor, der dem sicheren Tod ins Auge sieht? Wie gehen Menschen mit der Machtlosigkeit um die eigene Sterblichkeit um? Kann ein Leben mehr Wert sein, als ein anderes? Das sind die grundlegenden Fragen, die Penna seinen Figuren aufbürdet. Doch auch wenn man bewundern muss, wie sehr in diesem intimen Drama auf Effekthascherei verzichtet wird, um Raum für Menschlichkeit zu schaffen, gelingt es „Stowaway“ letzten Endes nicht, seine eigenen Fragezeichen aufzulösen.
Die Handlung des Films beginnt und endet im Space-Shuttle. Captain Marina Barnett, gespielt von einer großartigen Toni Colette („Little Miss Sunshine“, „Hereditary“), mach sich mit zwei jungen Crew-Mitgliedern bereit für eine zweijährige Forschungsmission. Es geht – Überraschung – zum Mars. Ihr kleines Team besteht aus Medizinerin Zoe, verkörpert von Anna Kendrick („Pitch Perfect“-Trilogie) und dem ehrgeizigen Biologen David, gespielt von Daniel Dae Kim, den man vor allem aus Serien wie „Lost“ und „Hawaii Five-0“ kennt.
Nach einem holprigen Start entdeckt die Crew einen blinden Passagier an Bord (Shamier Anderson, „Dear White People“), ein Ingenieur der Bodenbesatzung, der vor dem Raketenstart das Bewusstsein verlor und dabei ausgerechnet die Sauerstoffversorgung des Schiffs beschädigte. Ohne die Option umzukehren befinden sich die vier Passagiere bald in einem moralischen Dilemma – einem Dilemma wie aus dem Ethik-Grundkurs: Mit gerade genug Sauerstoff für drei Personen, wird sich einer von Ihnen schon bald auf Nimmerwiedersehen ins All verabschieden müssen.
„Stowaway“ überzeugt mit Menschlichkeit
Die größte Stärke des emotionalen Dramas ist sein Cast. Gleich zu Beginn des Films wird klar: Wer abgeklärte Weltraum-Helden à la Matt Damon in „Der Marsianer“ erwartet – immer einen witzigen One-Liner auf den Lippen – ist hier falsch. Stattdessen gibt sich Penna in der Exposition große Mühe, seine Figuren so nahbar wie möglich zu machen. Eine Rechnung, die dank seiner Darsteller*innen aufgeht. Die subtil gespielte Anspannung, die Captain Barnett als Hauptverantwortliche zu kaschieren versucht und die jugendliche Aufregung, die Zoe bei ihrem ersten Weltraumtrip versprüht, bereichern das altbekannte technische Sci-Fi-Gelaber. So wirken Pennas Figuren auch dann noch sympathisch, wenn sie mit nervös zitternden Händen verkünden, dass „der Lithiumhydroxid-Tank, sowie die CDRA“ beschädigt seien.
In sieben Tagen wirst du sterben
Den schauspielerischen Höhepunkt liefert der Kanadier Shamier Anderson, dem in einer besonders schmerzhaften Szene mitgeteilt wird, dass er als blinder Passagier ganz oben auf der Abschussliste steht und ohne eine Lösung des Sauerstoff-Problems binnen einer Woche Tod sein wird. Einen emotional mitreißenden Fast-Suizid später ist klar: Von diesem Darsteller möchte man mehr sehen. Eine großartige Vorlage, um von hieraus die psychische Belastung der Crew in all ihren Nuancen zu zeigen. Leider verspielt „Stowaway“ diese Vorarbeit teilweise.
Stilistisch unterstützt die Arbeit von Kameramann Klemens Becker zu jedem Zeitpunkt die Handlung und vermeidet jegliche genretypische „2001“-Imitation. Lange epische Weltraumaufnahmen gibt es in „Stowaway“ nicht und gerade das ist Penna und Becker hoch anzurechnen. Die unaufgeregte Inszenierung mit wiederkehrenden Einstellungen der insgesamt drei, vier Räumen des Space-Shuttles schaffen eine beengende Langeweile, die im Kontext der Handlung durchaus Sinn ergibt. Je weniger die Passagiere im Außen zu tun haben, desto eher sind sie dazu gezwungen, sich ihrer eigenen aussichtslosen Situation zu widmen. Wenn Barnett, Zoe, David und Michael weinend auf ihren Weltraum-Pritschen liegen, sorgen Nahaufnahmen mit der Handkamera für fast unangenehm intime Momente, die man in Science-Fiction-Filmen eher selten zu sehen bekommt.
Minimalismus tut nicht überall gut
Woran der Film krankt, ist sein unausgefeiltes, teilweise voraussehbares Drehbuch. Penna ruht sich zu sehr auf seiner interessanten Grundidee und dem Können seiner Darsteller*innen aus. Die groß aufgebauschten ethischen Dilemmata sind zwar unterschwellig vorhanden, eine wirkliche Auseinandersetzung aber sucht man vergebens. In der Sekunde, in der klar wird, dass mindestens ein Passagier ziemlich sicher den Löffel abgeben muss, entscheidet die Crew Einstimmig gegen den unfreiwillig an Bord geratenen Michael. Kein Abwägen, keine zermürbenden Diskussionen – nicht einmal Michael selbst trägt genug Überlebenswillen in sich, um Einspruch gegen sein eigenes Todesurteil zu erheben. Die gewaltigen moralischen Fragen verpuffen, im wahrsten Sinne des Wortes, im luftleeren Raum.
Außerdem schafft es Penna trotz des guten Starts nicht, seinen Charakteren eine organische Entwicklung zu geben. Das Wenige, was wir über die gebeutelten Passagiere erfahren, ist zu passgenau auf die Handlung des Filmes zugeschnitten. Wenn Anna Kendricks Figur davon erzählt, wie sie mal vor dem Ertrinken gerettet worden sei und seitdem an Wunder glaube, löst das eher Augenrollen als Rührung aus. Als Zuschauer hat man sich spätestens zu Beginn des dritten Aktes damit abgefunden, das Pennas Figuren sympathische Fremde bleiben, deren allmählichen emotionalen Kollaps man dann doch aus einer gewissen Distanz beobachtet. Bei der Schwere des Themas ganz angenehm eigentlich und dennoch ein Beweis dafür, dass man bei Minimalismus in der Inszenierung wenigstens ins Drehbuch etwas mehr hätte stecken können.
Spoiler – Ein unerwartetes Ende
Eine weitere Schwäche des Films ist eben jener antiklimaktische dritte Akt, der einem statt im Trailer versprochener Weltraum-Action nicht viel mehr beschert als die frustrierend willkürliche Auflösung der wesentlichen Konflikte. Der große Showdown mag spannend beginnen, treibt die Handlung aber keine Sekunde voran. Zugegeben: Eine Figur einfach nur von A nach B zu schicken und dabei trotzdem eine überzeugende Geschichte zu erzählen, ist möglich, wie ein „Mad Max: Fury Road“ gezeigt hat.
Doch wenn Zoe zum vierten Mal ansetzt, dasselbe Stahlseil zu erklimmen – ob nun auf einem rotierenden Raumschiff oder nicht – saugt das auch das letzte bisschen Spannung aus ihrer eigentlich entscheidenden Mission. Ohne die Auflösung der Handlung zu spoilern, kann zumindest so viel gesagt werden: Nicht einer einzigen Figur wird ein befriedigendes Ende gewährt, die im Laufe des Filmes mühsam aufgebauten Spannungsbögen werden mit einem Wisch in die unendlichen Weiten des Alls katapultiert.
Tiefgründig auf den zweiten Blick
Hat man die Enttäuschung über Pennas eindimensionale Handlung und die flachen Charaktere erst einmal überwunden, kann man „Stowaway“ glücklicherweise auf einer ganz neuen Ebene etwas abgewinnen. Captain Barnett und ihr Team werden von vollständigen Personen zu Blaupausen für die verschiedenen Arten, wie Menschen mit dem Tod umgehen. Je weniger wir von ihnen wissen, desto besser – umso breiter die Identifikationsfläche für unsere eigenen Ängste und Gedanken. Aus Figuren werden Konzepte.
In dieser Hinsicht macht Penna dann doch die philosophische Ebene auf, nur dass ein Großteil der Denkarbeit dem Zuschauer überlassen wird. Wenn vom ersten Moment an feststeht, dass Michael sterben muss, weil er keinen Mehrwert für die geplante Mars-Mission darstellt, spiegelt das treffend unsere leistungsorientierte Gesellschaft. Ein gut bezahlter Job, eine glänzende akadamische Laufbahn – Umstände, die wir in unserem Alltag, ohne darüber nachzudenken, mit einer höheren menschlichen Wertigkeit assoziieren. Captain Barnett stellt das Leben ihres blinden Passagiers derselben Logik nach, wie selbstverständlich, unter das ihrer Crew.
Schließlich ist da noch Michaels Status als Außenstehender, der durch unglückliche Umstände auf dem Space-Shuttle gelandet ist. Der fremde Neuankömmling, der trotz anfänglicher Willkommensgesten doch nur Mensch zweiter Klasse bleibt – gesellschaftspolitische Aktualität findet man in Stowaway schon, man wird nur nicht mit der Nase darauf gestoßen.
Die trauernde Raumfahrerin
Ein weiteres Beispiel ist Toni Colettes Figur, die im Laufe des Films mehr und mehr in der Bedeutungslosigkeit versinkt. Das mag der Dramaturgie des Films schaden, gleichzeitig versinnbildlicht es aber die Rolle, die viele Menschen angesichts des Todes eines geliebten Menschen einnehmen. Mit gebrochenem Arm ist Captain Barnett als hilflose Beisitzerin dazu verdammt, alle Handlungsmöglichkeiten ihrer Crew gedanklich durchzuspielen, ohne selbst eine einzige beeinflussen zu können. Wenn Barnett im Licht einer Schreibtischlampe in ihrem Büro sitzt und mit den Tränen mit der Bodenstation telefoniert, fällt es leicht das eigentliche Weltraum-Set-Up zu vergessen.
Was in diesen herausragend gespielten Szenen zu sehen ist, könnte ebenso gut die Geschichte einer Angehörigen sein, die an der eigenen Machtlosigkeit über das Schicksal eines Krebspatienten zerbricht. Ob nun Houston oder die Onkologie des örtlichen Krankenhauses erklärt, dass man wirklich alles, aber leider erfolglos, probiert habe, ist im Endeffekt egal. Treffenderweise nimmt Barnett in einer dieser Szenen zitternd den Hörer in die Hand und bittet die Person am anderen Ende der Leitung, „alle Optionen nochmal genau mit ihr durchzusprechen“.
Fazit – „Stowaway“ lässt (Welt-)Raum für Interpretation
Letztendlich wissen wir am Ende des Filmes so wenig über die Figuren, dass diese uns egal genug sind, um Konzepte bleiben. Die hilflose Angehörige, der strebsame Karrierist, der eine 180-Grad-Wende macht und seine Werte in Frage stellt, die unreife Sinnsucherin, die erwachsen wird. Und auch, wenn sie es vielleicht nie bis zum Mars schaffen: Ihre eigentliche Mission – sich als Projektionsfläche für die grundlegende Beziehung des Menschen zum Tod bereitzustellen – erfüllt die Crew in diesem Sinne mit Bravour. Das macht aus „Stowaway“ ein solides, langsam erzähltes Weltraumdrama, dass mit großartigem Schauspiel überzeugt, aber hinter den eigenen Ansprüchen zurückbleibt.