Stereolab – Emperor Tomato Ketchup
Schriebe jemand die Geschichte von seltsamen Paaren in der Pop-Musik, käme er an ihren Namen nicht vorbei: Laetitia Sadier und Tim Gane. Sie, eine radikale Humanistin, flüchtete einst aus dem pop-provinziellen Paris nach London; er, ein romantischer Marxist, spielte in den Achtzigern bei der englischen Agitprop-Band McCarthy. Gemeinsam halten sie seit einigen Jahren Stereolab zusammen, ein Kollektiv, das streng an der Umsetzung einer Soundvorstellung arbeitet, gleichzeitig jedoch offen für Impulse von Gastmusikern ist. Phasenweise hat sich etwa Sean O’Hagan von den High Llamas eingeklinkt, und neuerdings bedient Tortoise-Mitglied Dave Pajo den Baß.
Stereolab sind eine Experimental-Band – und eine Pop-Band sind sie auch. Das Versuchsfeld, auf dem sie sich bewegen, haben sie genau gescheckt Ein Scheitern ist ausgeschlossen. Die Rahmenbedingungen sind optimal: In England veröffentlichen sie auf ihrem eigenen Label Duophonic, hier können sie treiben was sie wollen, im Rest der Welt werden ihre fertigen Alben von Elektra respektive WEA herausgebracht. So haben sie sich eine Unabhängigkeit erarbeitet, die sich Kollegen in Interviews so gerne herbeireden.
Laetitia Sadier singt oft von der Revolution – die kommt bei Stereolab auf leisen Sohlen. Vier reguläre Langspielwerke und mehr als zwei Dutzend Singles hat das Ensemble bis jetzt veröffentlicht, die Verschiebungen der musikalischen Koordinaten waren immer minimal. Stets wurden ganz spezifische Details ausgelotet (das Blubbern eines alten Moog-Synthezisers, das Pfeifen der Farfisa-Orgel), um sie dann im mächtigen, mesmeriesenden Kollektiv-Schwingen zu integrieren. Referenzen an Velvet Underground und vor allem Can sind nicht zu überhören, mit allen möglichen Formen von Listening Music wurde geflirtet. War das schon die Zukunft des Pop, oder flanierte man lediglich durch ein Museum, in dem die Vorreiter der Vergangenheit attraktiv für die Gegenwart arrangiert worden waren? Komische Fragen gingen einem beim Hören von Stereolab-Platten durch den Kopf.
Und jetzt „Emperor Tomato Ketchup“. Redundanz und Rotation bleiben auf dem fünften Album konstituierend für die dynamischen Abläufe, doch nun rückt die Gruppe aus dem Hinterland an die Front der gegenwärtigen Avantgarden – bildet gleichsam den Schnittpunkt zweier Schulen, die in verschiedenen Ecken der Welt an ähnlichen Ideen doktern: die Chicago-Connection um das Instrumental-Ensemble Tortoise, mit denen das Werk produziert wurde, und die locker assoziierten Bands des englischen Labels Too Pure, bei dem Stereolab zeitweise ebenfalls veröffentlicht haben. Und dabei zeigen sie auf „Emperor Tomato Ketchup“ erstaunlicherweise soviel Pop-Appeal wie nie zuvor.
Der Einstieg ist trotzdem nervös. „Metronomic Underground“ wird von einem komplexen Beat-Getriebe bestimmt, das – der Titel deutet es an – in seinem Gleichmaß an ein Uhrwerk erinnert Hier ist Techno drin und Krautrock. Dann erfolgt ein Bruch, die Single-Auskopplung „Cybele’s Reverie“ kommt als moderner Chanson daher. Der mehrstimmige Frauengesang ist, wie übrigens auf dem ganzen Album, bis in die untersten Ebenen ausgearbeitet, und nicht nur die knisternden Streichersätze erinnern an Serge Gainsbourg.
Natürlich geht es weiterhin darum, Hörer und Band in einen hypnoseartigen Glückszustand zu befördern, da gibt es bei den Engländern durchaus sowas wie eine Heilslehre und – noch einmal eine Nähe zu Techno und Krautrock. Die hyperschnellen, superweichen Vibrationen vom Baß in „Les Yper Sound“ und die knarzigen Synthesizer bei „OLV 26“, die klingen wie die von Suicide, sind diesem Unterfangen äußerst dienlich.
Bleibt die Frage: Wie können Stereolab bei all dem, was sie tun, so sanft bleiben?