Soccer Mommy

„Evergreen“ – Indie-Rock existenziell

Loma Vista/Concord (VÖ: 25.10.)

Sophia Allison leistet Trauerarbeit, verpackt in großartiges Songwriting.

Auf einmal ist sie nicht mehr da. Und Sophia Allison erzählt davon, dass sie war den gleichen Namen wie diese Frau und deren Gesicht hat, ein Bild von ihr in einem Rahmen aufbewahrt, doch vieles ungesagt geblieben sei. Niemals werde sie wissen, wovon sie geträumt, wie sie sich gefühlt hat, bekennt sie zur Akustikgitarre. Und als der Einsatz der Streicher sanft zum Re­frain überleitet, wird ihr bewusst, dass vieles für immer verloren ist: „If I had ano­ther chance, I’d ask her then“, verspricht Alli­son in der zartbitteren Trauerballade „Lost“, die dieses betörende Album eröffnet.

Wer in der Popmusik sein Innerstes nach außen kehrt, singt nicht zwingend über romantische Liebe, verarbeitet nicht immer in einem herzergreifenden Break‐up-Song das Ende einer toxischen Beziehung. Einige der besten Indie-Rock-Alben vertonen Dramen existenziellen Ausmaßes, sind Dokumente der Trauerarbeit. Dazu zählen „Electro-­Shock Blues“ von den Eels, Ar­cade Fires „Funeral“, Sufjan Stevens’ „Carrie & Lowell“ oder Nick ­Caves „Ghos­teen“. Und jetzt gehört auch Soccer Mommys „Evergreen“ dazu.

In der Auseinandersetzung mit dem Unvermeidlichen entsteht ihre bisher beste Arbeit als Songwriterin

„Look at ­where it’s left me/ Sin­ging to my­self“, klagt Allison alias Soccer Mommy im Song „Chan­ges“, den sie schon zwischen den Sessions zum elektronisch aufgeladenen „Some­times, For­ever“ (2022) schrieb. Die mit Streichern und Flöte verzierte Akustikballade gibt „Ever­green“ Ton und Thema vor. Allison war zwölf Jahre alt, als bei ihrer Mutter Krebs diagnostiziert wurde. Jetzt ist sie 27, wird im dunkel eingefärbten „Thinking Of You“ beim Haarekämmen, Kleideraufhängen oder Fahren durch Nash­villes Straßen von Erinnerungen heimgesucht, spürt im von Americana-Harmonien beseelten „M“ eine gespenstische Präsenz, und in der Auseinandersetzung mit dem Unvermeidlichen entsteht ihre bisher beste Arbeit als Songwriterin.

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Falls Boygenius gerade auf der Suche nach einem vierten Mitglied sind: diese elf Songs stellen das perfekte Bewerbungsschreiben dar. „Ever­green“ hat auch Stücke wie das spröde, mit dem ­Grunge flirtende „Driver“, den psychedelischen Traumtänzer „An­chor“ oder das Indie-Pop-­Kleinod „Abigail“ zu bieten, intim-intensive und filigran arrangierte Trauerballaden bestimmen aber das Album – das hoffnungsvoll dem Verlust trotzend mit dem Titelsong endet: „She can­not fade/ She is ever­green!“