Sam Phillips
The Disappearing Act 1987-98
Raven Records
Als graue Eminenz oder federführender Produzent eines Projekts hat T-Bone Burnett so manche Karriere erfolgreich anschieben können. Bei der von Sam Phillips gelang ihm das vielen brillanten Einfällen zum Trotz nur sehr bedingt. „Bikinis & Martinis“ schaffte es 1994 als einzige- Platz 184!- in die LP-Hitparade und wurde auch für einen Grammy nominiert. Aber selbst mit einem so hinreißenden und absolut radiotauglichen Ohrwurm wie „I Can’t Stop Crying“ stieß sie bei Rundfunkleuten nicht auf nennenswerte Resonanz.
Das Album- als allerfeinstes Pop-Handwerk eines ihrer besten- scheint weltweit derzeit nirgends käuflich zu sein, und hierzulande hielt man es offenbar gar nicht erst für geboten, ihr jüngstes Nonesuch-Album „Don’t Do Anything“ überhaupt noch zu veröffentlichen. Aber das hatte man beim australischen Reissue-Spezialisten Raven Records sicher nicht im Sinn, als man nach einem Motto für die Retrospektive ihrer Virgin-Jahre suchte. „The Disappearing Act“ war vielmehr der Titel des einzigen neuen Songs, den sie für „Zero Zero Zero“ aufgenommen hatte. Besagtes, 1998 veröffentlichtes Album schuldete sie Virgin noch. Bei der Auswahl bot sie handverlesene eigene Lieblings-Songs- und neben den neuen auch Remixes von fünf älteren Aufnahmen. Eine ganze Reihe derer, die ihr großes Lob von Kritikern eingetragen hatte, fehlte hier schlicht.
Für die Auswahl von „The Disappearing Act“ hat man sie offenbar nicht konsultiert. Was gut ist für alle, die sich bei dieser sehr sachkundig getroffenen Auslese erst mal einen ganz informativen Überblick über ihre Virgin-Ära verschaffen wollen, bevor sie den Kauf ihrer sündteuren Japan-CDs erwägen. (Nur auf solchen sind einige von Sam Phillips‘ frühen Platten noch verfügbar.) Gut auch insofern, als man hier als Kostproben zwei Aufnahmen ihres letzten „christlichen“ Pop-Albums „The Turning“ findet. Von solchen hatte sie vorher, auf verschiedenen Labels erschienen, glatt Hunderttausende LPs verkauft und war unter christlichen Fundamentalisten zu einem richtigen Star avanciert, bevor sie sich von der skrupellosen Geschäftemacherei der ganzen Szene vehement distanzierte. Wie die- richtiges big business- funktioniert, konnte man ja jüngst noch auf der DVD „The Gospel Music Of Johnny Cash“ staunend studieren- oder sich zumindest ahnungsweise weiter ausmalen…
Für besagtes „The Turning“ hatte sie eine Cover-Version von „River Of Love2 aufgenommen (vor einiger Zeit auf „Twenty Twenty- The Essential T-Bone Burnett“ in dessen Original von Sony Legacy veröffentlicht), bei dem der Vers „…but there’s a river of grief that floods through our lives“ an die Adresse all jener Fundamentalisten gerichtet war, die durch platte Heilsbotschaften von Erlösung zu reichlich Spenden gedrängt wurden. Ihr eigenes „Love Is Not Lost“ artikulierte weniger religiöse Heilserwartungen, hatte dafür weit mehr mit Blondie-Pop und ziemlich irdischer Liebe zu tun. Für das, was sie ansonsten mehrere LPs lang vorher aufgenommen hatte, dürfte das aber wenig repräsentativ sein.
Kurz danach richtete sie unter Anleitung ihres neuen beruflichen und privaten Lebensgefährten ihr Schaffen gänzlich neu aus. Beim „weltlichen“ Debüt „The Indescribable Wow“ war ganz exquisiter und sophistisch produzierter Girl Group Pop, aber auch schon Beatles-Verehrung angesagt. Bei „Remorse“ etwa zitierte Burnett klassische George Harrison-Gitarre circa 1964/65, genauer gesagt von „She’s A Woman“. Das von Van Dyke Parks und Burnett arrangierte „What Do I Do“ war ein ziemlich exzentrisches Stück Barock-Pop. Bei etlichen Songs des nächsten Albums, „Cruel Inventions“, schmuggelte Burnett Psychedelik-Pop-Zitate der „Strawberry Fields Forever“-Phase ein, während die Referenz für „Martinis & Bikinis“ danach immer wieder mal „Revolver“ und insbesondere Lennon-Songs waren. Viel ungenierte Beatles-Idolatrie jetzt also, aber nie eine Retro-Veranstaltung, bei welcher der größte Reiz darin gelegen hätte, das zitierte Vorbild zu erkennen.
Wer jemals Elliott Smith schätzte, wird Sam-Phillips-Popá la „Strawberry Road“ lieben. Ziemlich beatlesque klang da auch „I Need Love“, im Vokal-Arrangement so perfekt wie auch das für „Wheel Of The Broken Voice“. Von Peter Buck bis Benmont Tench hatte Burnett hochkarätige Gäste zu den Sessions geladen. Was nicht heißt, dass er die Songs irgendwo originalitätssüchtig überfrachtete. Wenn man letzteren Vorwurf einem Album machen kann, dann streckenweise dem folgenden „Omnipop“ mit dem sehr bizarren Untertitel „It’s Only A Flesh Wound Lambchop“. Bei dem Dutzend Songs tobte sich der Produzent so richtig aus (nicht ohne Beatles-Zitate auch hier, etwa bei „Where Are You Taking Me“). Was sie sich eine Lehre sein ließ und fünf Jahre später beim Nonesuch-Debüt „Fan Dance“ bewusst auf schlicht instrumentierte Lieder setzte.
Bei knapp 79 Minuten Spieldauer der 23 Aufnahmen war hier leider überhaupt kein Platz mehr für ein paar sehr bemerkenswerte, für andere Projekte entstandene Aufnahmen aus diesen Jahren. Keine Songtexte, relativ knappe aber ganz gute Liner Notes, und die Angaben zu den Aufnahmen wie auch speziell zu den beteiligten Musikern beschränken sich auf das Allernötigste. (Raven Records)