Man könnte ihn für einen Zelig der Rockmusik halten, eine pure Erfindung seiner Plattenfirma, die rund um ihn als verschollen gegangene Legende der Psychedelik-Ära Geschichten erfindet, um seine Platte als archäologische Ausgrabung von historischem Rang zu verkaufen. Aber es gibt Sixto Diaz Rodriguez tatsächlich – genauso wie eine Mary Margaret O’Hara oder Emmitt Rhodes, die nicht der Einbildungskraft von Jägern verlorener Schätze entsprungen sind, sondern tatsächlich existieren.

Verglichen wird der Songschreiber aus Detroit schon mal gern mit Arthur Lee oder Skip Spence (die beide tot sind und sich nicht dagegen wehren können), weil das von den Funk Brothers produzierte „Cold Fact“ auch mal ähnliche Psychedelik-Elemente enthält. Es war die erste LP auf dem neuen Sussex-Label überhaupt. Aber der nachträglich ähnliches kommerzielles Potenzial anzudichten, wie das ein Jahr später das Debüt von Bill Withers bei derselben Indie-Firma hatte, wäre grober Unfug.

Die Liner Notes zu dieser opulenten Neu-Ausgabe versteigen sich tatsächlich zu der Behauptung: „At the time, he was avant-garde.“ Wenn man dann ein Lied mit dem langen Titel „This Is Not A Song, It’s An Outburst: Or, The Establishment Blues“ hört, kommt man doch ins Grübeln. Denn das war purer Klau bei „It’s Alright, Ma (I’m Only Bleeding)“, als Protestsong aber auch von einer gewissen unfreiwilligen Komik. Denn Rodriguez beklagt sich dort- neben immer mächtiger werdender Mafia, Überbevölkerung und Umweltverschmutzung- allen Ernstes auch über zunehmende Ehescheidungen, falsche Wetter-Voraussagen, viel Müll in den Straßen und… Ehebruch in der Küche!

Dass er mit Frauen Probleme zu haben schien, verleugnete er in Songs nicht. Dasselbe Thema wie der Steppenwolf-Song „Everybody’s Next One“ griff er in „I Wonder“ auf mit den Versen: „I wonder how many times you had sex/ And I wonder do you know who’ll be next.“ Kein Zweifel: Hier hatte man es mit einer geschundenen Seele zu tun, einem jungen Mann, der seine Erfahrungen nicht „poetisch“ sublimiert in Songs ausdrücken wollte, sondern ziemlich unverblümt.

Auch üble Erfahrungen mit Frauen, über die er in „Crucify Your Mind“ sang. „Forget It“ qualifizierte ihn als eine Art Anti-James Taylor, der Drogensong „Sugar Man“ wiederum als jemanden, dem wie dem „Fire And Rain“-Komponisten Erfahrungen mit weichen Drogen so wenig fremd waren wie mit harten. Reflektierter, sublimer als viel anderes Songmaterial auf dieser Platte war sein „Inner City Blues“, der musikalisch aber mehr an Dylan circa 1964 erinnert, als dass er dasselbe Thema ähnlich komplex aufgegriffen hätte wie wenig später Marvin Gaye. Protest formulierte er auch in „Like Janis“, so wenig sophisticated wie der junge Donovan. Den Song und andere wie „Rich Folks Hoax“ sang er damals auf der Bühne angeblich mit dem Rücken zu seinem Publikum.

Die Botschaften hörte man wohl, und sie waren auch gar nicht misszuverstehen. Die Liner Notes erläutern ausführlich, dass, wie und warum „I Wonder“ seit der Veröffentlichung 1971 in Südafrika ein heimlicher, durch illegale Kassetten-Kopien populärer Kult-Hit wurde und „Sugar Man“ ein allseits geliebter Ohrwurm. Mit all den Fuzz-Gitarren und Psychedelik-Spielereien klingt das Album dann irgendwo auch ganz schön anachronistisch. Durch Remastering so gut wie machbar aufpoliert, entwickelt gerade das wieder eigenen Retro-Charme. (Light In The Attic/Cargo)