Sting
… Nothing Like The Sun“
Südamerika, USA, Europa – Sting verarbeitet seine musikalischen Reisen zu einer Doppel-LP.
Ob seine Reisen nach Südamerika mit dem Versuch zu tun hatten, möglichst großen Abstand zu The Police zu gewinnen? Zumindest hörte sich sein zweites Soloalbum, „…Nothing Like The Sun“ von 1987 so an, als hätte Sting sich von seinen Bandkollegen Stewart Copeland und Andy Summers verabschieden können. Die Riege an Könnern, die ihn nun unterstützten, war auch einfach zu groß. Gil Evans machte mit, Clapton, Manu Katché, Annie Lennox, Mark „MTV“ Knopfler und Branford Marsalis. Dieses Album klang nach Jazz, Operette, war Tropen und Metropole gleichermaßen.
Die drei zentralen Lieder (und Singles) von „…Nothing Like The Sun“ stehen für unterschiedliche Erfahrungen des damals 36-Jährigen Sting. „Fragile“ und „They Dance Alone“ schrieb er nach seinen Besuchen in Nicaragua respektive Chile; in „Fragile“ betrauert er den Tod eines US-amerikanischen Hilfsarbeiters. Das auf Akustikgitarren mehr oder weniger geflüsterte Lied war sein Appell an den Frieden und ist bis heute sein populärster Solo-Song. „They Dance Alone“, wie manch anderes dieser Stücke auch auf spanisch veröffentlicht, geht noch tiefer in die Politik. Es widmet sich den Witwen derjenigen Männer, die von Pinochet-Regime ermordet wurden. Bono, der im Rahmen von Amnesty mit Sting in Lateinamerika unterwegs war, veröffentlichte im selben Jahr ein U2-Stück mit derselben Thematik: „Mothers Of The Disappeared“.
Dennoch ging Sting viel sanfter vor als manch anderer. Im Gegensatz zu den Kollegen Peter Gabriel oder dem Pionier Paul Simon versuchte er damals nicht wie ein „Weltmusiker“ zu klingen, oder sich zumindest „Weltmusiker“ ranzuschaffen, die aus seinen Songs etwas ganz Neues machen. Sting war sich, was die Komposition betrifft, zumindest in den Achtzigern seiner inneren Grenzen bewusst. Es war Sting-Jazz.
Am auffälligsten war die Single „Englishman in New York“, ein Mash-Up von Gedanken. Da singt einmal der Shakespeare-Brite Sting, der die amerikanische Stadt mit einer Mischung aus Faszination und Ekel betrachtet („I don’t drink coffee, i drink tea, my dear / I like my toast brown on one side“), und der sein Dandytum etwas zu großväterlich mit abgespreiztem Bein und Regenschirm demonstriert. Um seine „Entfremdung“ zu unterstreichen, wird der Pop in der Song-Mitte durch eine Art HipHop-Beat abgelöst. Das macht das Lied nicht besser, aber zumindest kann man Sting nicht vorwerfen, dass er 1987 mit der Entdeckung urbaner Klänge zu spät dran war.
Etwas versteckt auf Position elf befindet sich einer der Höhepunkte, „Little Wing“. Wer Hendrix covert, sollte sich ja nicht zu sehr auf die Gitarre versteifen. Zusammen mit Gil Evans und seinem Orchestra balanciert Sting zwischen Big Band, Calypso und Rock. Am schönsten ist die Stelle, in der eine Gitarre ins Saxofon übergeht.
Nicht minder beeindruckend ist „Be Still My Beating Heart.“ Wer Sting hassen möchte, könnte sich hier bestätigt fühlen. In diesem schwülen Bluespop versucht er seine Liebesgefühle zu beruhigen, indem er sich der akademischen Lektüre widmet: „I’ve been to every single book I know, To soothe the thoughts that plague me so“. Bestes Lied des Albums ist aber das Eröffnungsstück, „The Lazarus Heart“, komponiert für die verstorbene Mutter. Es erzählt in unverhohlen freudigsten Tönen von der Wiederauferstehung, angetrieben von Branford Marsalis‘ Saxofon, das wie ein rauschender Bach klingt.
Ganz anders standen die Dinge für Sting, als nach der Albumveröffentlichung auch noch sein Vater verstarb. Der Tod beider Elternteile verursachte eine Schreibblockade. Vier Jahre sollte es bis zum nächsten Studioalbum, „The Soul Cages“, dauern. Es würde ein Werk werden mit ähnlicher Klasse, jedoch ohne die bisweilen verspielt-optimistischen Töne von „…Nothing Like The Sun“.