Regina Spektor
What We Saw From The Cheap Seats
Warner VÖ: 25. Mai 2012
Sie kann so viel! Klavier spielen, klar. Aber auch singen: Gleich im ersten Stück – dem besten Song des gesamten Albums – singt sie das Wort „moon“ so schön schnutig, wie das vor ihr noch niemand hinbekommen hat. Überhaupt, was für ein Song das ist! „Small Town Moon“ ist ein Lied über die innere Kleinstadt, über den Abschied, das Vorankommen, das, was man immer mit sich nehmen wird – und über die Opfer am Wegesrand. Das Lied einer Weitgereisten, und das ist die russischstämmige Sängerin ja nun weiß Gott. Aber Regina Spektor kann noch so viel mehr – und sie zeigt es alles: Im kabarettistischen „Oh Marcello“ singt sie mit pseudo-italienischem Akzent und demonstriert ihre Human-Beatbox-Künste (sie kann Achtziger-Jahre-E-Drums imitieren!). Sie singt zerbröselte Balladen, Spieluhr-Pop-Nummern und streut zwischendurch auch mal ganz nebenbei „Don’t Let Me Be Misunderstood“ ein.
Aufgrund ihrer Finesse und Vielfalt wird der Spektor ja reflexartig hinterhergeschrieben, dass sie über irrsinniges Talent gebiete. Das tut sie auch. Doch verführt Talent häufig dazu, das Vielkönnen in Zuvielwollen zu überführen. Und genau dieses Zuvielwollen wird hier oft zum Problem. Spektor will alles: lustig sein und anrührend, zärtlich und donnernd. Sie will feine Popsongs singen und ironisch von der Off-Bühne hinabzwinkern. Dennoch klingt sie oft nur harmlos und desorientiert. Produzent Mike Elizondo (Eminem, Fiona Apple) hat viele dieser Songs live im Studio aufgenommen. Zu hören ist das nicht unbedingt.
Was nun soll man ihr für das nächste Album wünschen: den irren Chilly Gonzales als Produzent? Einen Geigenhimmel? Oder das Gegenteil: den Mut zur Kargheit, um ihre Geschichten adäquat zu erzählen? Hier jedenfalls erzählt sie leider allzu oft nur vom großen Vielzuviel.