Radiohead :: In Rainbows
Zunächst nur als Download: große Kunst, diesmal leichter zugänglich
So hatte man sich das nicht vorgestellt. Dass Downloads mal was mit Gewissen zu tun haben könnten! „It’s up to you“, verkündet die Website von Radiohead, wenn es um den Preis des neuen Werks geht. Wer aus Verwirrung noch einmal klickt, bekommt die Bestätigung: „No, really, it’s up to you „Wie viel für „In Rainbows“, das siebte Studio-Album, bezahlt wird, entscheidet also der einzelne Hörer – 0 Euro, 10 Euro, 100 Euro, wie es beliebt. Auf jeden Fall wollten viele, viele das Werk sofort haben, verzweifelt wurde hin- und hergemailt: Wer hat’s schon, wer hat’s noch nicht, wie funktioniert das alles, und was soll das überhaupt? Vier Jahre waren vergangen seit „Hail To The Thief“, dann ging plötzlich alles ganz schnell. Gitarrist Jonny Greenwood kündigte an, dass jeder sich für einen Download-Code vormerken lassen könne, Stichtag: 10. Oktober. Anfang Dezember erscheint allerdings auch noch eine „In Rainbotws“-Box mit zwei CDs, Doppel-Vinyl, acht Bonus-Tracks und Buch – und da hört der Spaß mit der Selbstbestimmung dann auf, das Teil kostet 40 Pfund. Jetzt aber erst mal: die heruntergeladenen Stücke, zehn sind’s, keine Dreiviertelstunde insgesamt. Wer bei den ersten Beats von „15 Step“ befürchtet, er sei aus Versehen in Robbie Williams‘ „Rudebox“ gelandet, wird von Thom Yorkes Stimme schnell überzeugt: Ist doch Radiohead, puh. Sanft singt er die Strophen, erst im Falsett, dann ganzbedächtig-und immer konterkariert von hibbeligen Synthesizern, später auch von einem Kinderchor, der dazwischenplärrt. „As soft as your pillow“? Bestimmt nicht.
Es folgt das paranoide „Bodysnatchers“, verzerrt und wütend, danach wird es erst mal wieder ruhiger. Die Ballade „Nude“ schleppt die Band seit zehn Jahren herum, hat sie schon bei der „OK Computer“-Tour gespielt. Warum sie es nie auf ein Album geschafft hat, ist mir schleierhaft. Ein wunderbar austarierter Song, der mit großen Momenten und kleinen Pausen spielt, immer wieder anhebt und sich zurücknimmt – bis Yorke am Ende bloß noch ohne Worte fleht, wie nur er flehen kann. „Weird Fishes/Arpeggi“ ist noch trauriger, noch ausufernder — und die Text-Fetzen, die man verstehen kann, verheißen nichts Gutes: „Everybody leaves/ If they get the chance/And this is my chance/ 1 get eaten by the worms.“ Die Flucht im zweiten Teil des Stücks klingt nicht aussichtsreich. Das Glück, es ist wieder nur in der Liebe zu finden, wenn überhaupt. „All I Need“ ist so romantisch, wie es Radiohead eben sein können mit einem Sänger, der sich hier mit einem Insekt vergleicht. Die Band packt alles aus, was sie hat; das Stück läuft fast über vor Synthesizern und Streichern. Das symphonische Element retten sie auch zu „Faust Arp“ hinüber, das Yorke zauberhaft atemlos singt. Es ist vielleicht das gefälligste Stück auf „In Rainbows“ und prompt nach zwei Minuten vorbei.
Und genug geschwelgt jetzt. „Reckoner“ blieb bei den „Kid A“/ „Amnesiac-Sessions übrig, es war ihnen damals eventuell noch ein wenig zu eingängig. Auch „House Of Cards“ spart sich große Verweigerungstaktiken oder Verfremdungen, es geht schon erfrischend einfach los: „I don’t want to be your friend“, seufzt Yorke, ja er croont beinahe. „I just want to be your lover…“ Es ist mit 5:28 Minuten das längste Stück auf diesem wieder überraschend prägnanten Album. Jigsaw Falling Into Place“ fängt mit akustischen Gitarren an, schwingt sich dann auf zu einem fast U2artigen Rocksong, während das Piano-getragene „Videotape“ gerade deshalb so anrührend ist, weil es sich so zurückhält.
Dass Radiohead viele dieser Lieder bereits live gespielt haben, manche schon Vorjahren, dass es vielleicht keinen roten Faden gibt, dass es einem nicht wie ein „richtiges“ Album vorkommt, weil man es nur herunterladen konnte und weder Cover noch Songtexte hat – all das ist am Ende doch egal. Natürlich, Radiohead haben alles schon einmal gemacht, was auf „In Rainbows“ so schön ist: der Kitsch, das Experiment, das Liebeslied, die Symphonie, die Elektronik, das Enigma, das Lärmende, das Zarte, das Ausladende, das Einladende. Aber besser macht es sonst niemand.