„Komm ein bisschen näher/ Und schneide mir den Brustkorb entzwei/ Ziehe meine kleinen Rippen fest um Dich“: Das zärtlichste und brutalste, schönste und jedenfalls körperbetonendste Liebeslied dieses Sommers stammt von dem kanadischen Duo Purity Ring; es heißt „Fineshrine“ und handelt davon, wie ein liebendes Mädchen ihren lieblichen Leib dem geliebten Manne als Schrein darzubieten gedenkt. Mit kleinmädchenhaft naiver Kopfstimme sehnt Purity-Ring-Sängerin Megan James sich nach sexueller Ekstase und Vereinigung von glücklichen Körpern. Doch heißt Vereinigung nicht bloß, dass sie ein Glied in ihrer Vagina spüren will. Sie will Därme mit Därmen umschlingen und Knochen mit Knochen verkeilen. Wenn sie sagt, dass sie ihr Herz verschenkt, dann verschenkt sie das rhythmisch zuckende Ding schräg über der Milz: Zwischen Körper und Seele, Sehnsucht nach dem anderen und Selbstaufgabe, Liebeslust und Todessehnsucht gibt es hier keinen Unterschied mehr.

Und so ist es in sämtlichen von den elf Songs, die Purity Ring auf ihrem Albumdebüt „Shrines“ versammeln. Megan James singt und haucht mit verführerisch-trügerischer Naivität von unsterblicher Liebe und sterblichen Körpern, dazu lässt ihr Partner Corin Roddick Orchester-Samples schnaufen und zähe Beat-Wellen schwappen. Das mindere Tempo und das trügerische Gehauche, die Mischung aus Gothic-Ästhetik und Zeitlupen-HipHop erinnern an Witch-House-Gruppen wie Salem. Doch bringt Roddick seine Rhythmen noch dramatischer zur Erstarrung: So überkonturiert sind die Wechsel zwischen voll tönenden Samples und abrupten Pausen, dass die geis-

terhaft zarte Stimme von Megan James wie über einem wild zerzausten, zerklüfteten, im Moment des schlimmsten Sturms erstarrten Ozean schwebt. Grauen und Behaglichkeit, Vertrautes und Fremdes waren einander lang nicht mehr so nah wie in dieser atemberaubend schönen Musik: Man könnte meinen, dass sie direkt aus dem Unbewussten erklingt.