Prince and The New Power Generation
Diamonds and Pearls
Die beste Antwort bot natürlich der Praxistest. Die Tanzfläche. Prince war sich zunächst nicht sicher, ob sein neuer Song funktionieren würde. Also nahm er das Tape mit in den Club und ließ das unbekannte Stück auflegen.
Alle fuhren darauf ab. Die erste Single des kommenden Albums stand damit fest: „Gett Off“. Das zweite „t“ im Titel war eine Verlegenheitslösung, da es den Song „Get Off“ bereits gab, eine B-Seite. Aber auch in falschem Englisch machte der neue Track was her – er wirkte dadurch noch fetter, Dampfwalzen-artiger.
„Gett Off“ war ein Instant-Klassiker, Prince hatte wirklich alles richtig gemacht. Er begann einen Song zum ersten Mal seit „Alphabet St.“ von 1988 wieder mit einem Aufschrei. Die darauf folgende Querflöten-Melodie doppelte er mit seiner E-Gitarre, und er schrieb endlich wieder einen Text über Sex, der cool war und mysteriös: „She said u told her a fantasy / That got her all wet / Something about a little box with a / Mirror and a tongue inside.“
Das größte Wagnis bestand darin, mit einem Mann namens Tony M. eine Premiere zu feiern. In „Gett Off“ fuhr Prince, 13 Jahre nach seinem Albumdebüt, erstmals einen Rapper auf einer Single auf. Tony M., bürgerlich Anthony Mosley, war nicht grade der talentierteste Wortakrobat – er erinnerte eher an HipHopper vom Typ G.I. aus Hessen –, aber seine Reime („23 positions in a 1 night stand / I’ll only call u after if u say I can“) ließen neue Bilder entstehen.
Es ist erstaunlich, dass „Gett Off“ nicht in die Top 20 der amerikanischen Billboard-Charts gelangte – seit „1999“ aus dem Jahr 1982 hatte Prince das mit jeder Vorabsingle geschafft.
Dabei hatte der 31-Jährige einen Erfolg bitter nötig. Seit drei Jahren scharrten seine Anhänger mit den Füßen. „Lovesexy“ (1988) verkaufte sich nicht, „Batman“ (1989) verkaufte sich gut, galt aber als seicht. Und Prince’ jüngster – und bis zu seinem Tod letzter – Kinofilm „Graffiti Bridge“, die Fortsetzung seines Hits „Purple Rain“, ging völlig unter. Dass die wenigsten Menschen 1990 übers Internet vernetzt waren und das Wissen über Prince’ riesiges Song-Archiv entsprechend wenig verbreitet, dürfte den Musiker damals gerettet haben. So wussten nur Die-Hard-Fans, dass der Soundtrack von „Graffiti Bridge“ zu mehr als die Hälfte aus älterem, unveröffentlichtem Material bestand – Prince hatte anscheinend einfach seinen „Vault“ geplündert.
Orgien im Palast
Für das Albumprojekt mit dem suggestiven Titel „Diamonds and Pearls“ wagte Prince den Reset. Mit Keyboarder Dr. Fink, er war seit 1980 dabei gewesen, verschwand das letzte langjährige Bandmitglied. Die neue Truppe trug den optimistischen Namen The New Power Generation, und sie erhielt eine Nennung neben Prince, was zuletzt The Revolution 1983 erfuhren. Vorhang auf für: Prince and The New Power Generation.
„Gett Off“ und die zweite Single „Cream“ erhielten aufwändige, in einer Art Palast inszenierte Orgien-Videos. Überhaupt wirkte „Diamonds and Pearls“ recht protzig und reich, wenn nicht neureich. Dubai-Style. Meilenwert entfernt von der Demo-artigen Sperrigkeit des Materials auf „Sign O’ The Times“. Nie klang Prince aufgeräumter, sauberer und klarer als auf seinem 13. Album.
Und wer Prince mag, weiß, dass ihm nichts Schlechteres hätte passieren können.
Alles wirkte wie Märchenpark, wie Disneyland für jung und alt. Mit „Daddy Pop“ titulierte der Mann sich bereits selbst als Nicht-mehr-ganz-der-Jüngste, der Rock-Operette-Opener „Thunder“ wirkte 1991 – dies stand Michael Jacksons fast zeitgleich veröffentlichtem „Dangerous“-Opener „Jam“ in nichts nach – aufgebauscht.
Dazu passte auch der „MTV Awards“-Auftritt. Nach damaligem Eindruck lieferte Prince den spektakulären Höhepunkt bei einer Fernseh-Veranstaltung ab, die sich auf dem Gipfel ihrer Medienmacht befand. Heute sieht dieser Mann, wie er sich auf dem Boden wälzt, in den Spagat geht, hochzippt, sofort die Gitarre anspielt und später, nach drei Minuten, unerwartet per Körperdrehung seinen blanken Hintern präsentiert, einfach nur komisch aus.
https://www.youtube.com/watch?v=ow69Q6GjTfM
Dem Pomp standen das zahme Titelstück entgegen, Prince’ bis dato gewöhnlichste Aufnahme, im dazugehörigen Video beugt er sich staunend zu Kindern herab, sowie „Cream“. Der Name war eine sexuelle Anspielung, der Song schaffte es in Amerika auch auf die Eins (Prince’ letzte dort); aber Prince ging, im Gegensatz zum leicht wesensverwandten „Kiss“, hier mit angezogener Handbremse vor. Viel zu unterkühlt singt er, geradezu flüsternd, und dem Sex-Rhythmus von „Kiss“ setzte der neue Drummer Michael Bland einen stoischen Grundbeat entgegen. Es ist ein langweiliges Lied.
Keine Antwort auf Rap
Die Neunzigerjahre würden eine harte Zeit werden für Prince und den damals immer noch erfolgreicheren Kollegen Michael Jackson. Nicht nur, weil 1991 von Rockmusik dominiert wurde, von den neuen Bands wie Nirvana und Pearl Jam, aber auch etablierten wie Metallica, R.E.M, Guns N’ Roses und U2. Prince und Jackson, einst Vorbilder für afroamerikanische Künstler und selbst Pioniere in der Eroberung „weißer“ Refugien wie MTV, wussten mit neueren Strömungen „schwarzer“ Musik nicht umzugehen. Sie wurden von Rap überrollt, fanden darauf keine Antworten. Die HipHop-Einlage in Jacksons „Black Or White“ klang genauso fremd wie jedes „Check This Out“, das Prince sich ab 1991 angewöhnte.
Noch in „Dead On It“ aus seinem „Black Album“ von 1987 karikierte Prince den jungen Stil. Nun mühte er sich ab mit der Entwicklung Schritt zu halten. Aber die neuen Stücke „Push“ und „Jughead“ waren zum Totlachen, wie Kinder-Rap. Dass Prince jetzt HipHopper als fast gleichberechtigte Vokalisten an Bord holte, spiegelte entweder das eigene Unvermögen in diesem Darbietungsstil wider – oder eben ein spät entdecktes, merkwürdiges Gleichberechtigungsgefühl für seine Mitstreiter. Prince galt eigentlich noch immer als diktatorischer Musiker. Einzig „Gett Off“ schaffte es, Gesang, Instrumentierung und Fremd-Rap auszutarieren. Bei anderen Songs gab er sich fast auf.
Hat Prince sich geschadet mit der Imitation einer Rap-Attitüde, zu der damals, viel stärker als heute, die Darstellung übertriebener Männlichkeit und Sexismus gehörte? Auf jeden Fall hing Prince ab der „Nude Tour“ von 1990 gerne mit seinen Tänzern ab, den Game Boyz, und aus seinem Lager drangen Geschichten nach draußen, dass der treue Dr. Fink wegen seiner Gewichtszunahme ebenso bespöttelt wurde wie Keyboarderin Rosie Gaines. Prince trug eine neue Form der Aggressivität vor sich her.
Prince entfremdete sich von seinen eigenen Kunstfiguren und Ideen. Einst war er der Künstler gewesen, der Transgender-Themen besang („If I Was Your Girlfriend“), seine Stimme pitchen ließ, die zwischen Geschlechtern hin- und hergerissene Person Camille entwarf. Prince war der, der früh in seiner Karriere Strapse trug und in „Controversy“ seinen Kritikern mit der Frage konterte: „Am I Black Or White / Am I Straight Or Gay?“.
All diese Doppeldeutigkeiten, Multi-Perspektiven, Verzweigungen und Vertiefungen gab er für sein neues Image auf, für die Neunziger, und für den Macho. Der Irrsinn war perfekt, als er ab 1992 mit einem Mikrofon auftrat, das einer Pistole nachempfunden war.
„Diamonds and Pearls“ wurde im umkämpften Herbst 1991 dennoch ein Hit: Top drei in Amerika und Großbritannien. Ein Jahr später würde Prince gar den bis dahin wahrscheinlich höchst dotierten Plattenvertrag unterzeichnen – 80 Millionen Dollar für sechs Alben. Wer genauer hinhörte, wusste aber, dass Prince seinen Zenit längst überschritten hatte.