Dieses Album könnte „Another Side Of PJ Harvey“ heißen. Nach dem Prinzip der bisherigen Alben ,“Dry“ (1992) und ,“Rid Of Me“ (1993), innerhalb eines Songs Teile von unterschiedlicher Dynamik und Intensität aneinander zu koppeln, funktioniert auf „To Bring You My Love“ nur noch das Titelstück. Ansonsten wird auf alle gitarrenbetonten Post-Punk-Elemente fast vollständig verzichtet – entstanden ist eine akustisch geprägte Musik langsamer, schmerzlich intensiver Stücke, die jeweils aus einem Guß daherkommen. Wütete auf den vorangegangenen Alben eine neurotische Schmerzensfrau, deren Zerrissenheit sich auch in der Instrumentierung äußerte, so hat Polly Harvey nun musikalischen Frieden geschlossen. Ebenso neu sind die Themen der Songs: Es gibt religiös angehauchte Balladen auf dieser Platte, Liebeslieder – und auch das Cover läßt eher Empfindsamkeit als Extrovertiertheit assoziieren. Statt der provokatorischen Klage „You Leave Me Dry“ ist Polly Jean diesmal ins Wasser gegangen – eine grelle Symbolik, die nur eine ehedem so brutal und schmucklos sich selbst ausstellende Emotionskünstlerin glaubhaft verwenden kann. Entwicklung also. Das Produktionsverfahren PJ Harveys bestand bisher darin, daß Komponistin und Gitarristin Polly TONTRÄGER im MärzJean Harvey zunächst das Gerippe der Songs in einer Vier-Spur-Version aufnahm, bevor die Band sie anreicherte – hauptsächlich durch Intensivierung der Lautstärke. Auf „7b Bring You My Love“ wirken die Songs unbehandelter; Baß und Schlagzeug bleiben weg oder im Hintergrund. In erster Linie, auf über der Hälfte der zehn Stücke, wurden Orgel oder Streicher addiert. Nur „Long Snake Moan“ und „Meet Ze Monsta“ erhielten ein sattes, durch und durch elektrisches Arrangement – und das in einer bisher für PJ Harvey untypischen Reinheit – als müßte dort komprimiert werden, was woanders fehlt. Der beschwingte Duktus dieser beiden Songs steht im Gegensatz zur Stimmung der übrigen, die etwa einer gegen fünf Uhr morgens allmählich zu Ende gehenden Party entspricht. Die Veränderungen gegenüber den bisherigen Alben belegen, daß sich Harvey mit “ To Bring You My Lore“ von der klassischen Trio-Besetzung in einen neuen Kontext bewegt, sich als „Solo-Künstlerin“ definieren möchte. Man mag dabei das Verschwinden der brachial-zerrissenen Elemente bedauern – dennoch fallt das Experiment überzeugend aus. Die Musik strahlt weiterhin eine souveräne Eigenwilligkeit aus, und die akustische Trendwende läßt neue Stärken entdecken – besonders was den Gesang angeht. Wie sehr Harveys Stimme imstande ist, einen Song fast alleine zu tragen, kann sich eben erst zeigen, wenn die Zurücknahme des Gitarrendonners einen Raum dafür eröffnet. Und es funktioniert: „Send His Love To Me u oder „The Dancer“ sind in dieser Hinsicht grandios geglückt. Angesichts der Lärm-Deeskalation scheint es ein wenig kurios, daß PJ Harvey ausgerechnet jetzt Vorgruppe der anstehenden R.EJvl.-Auftritte in Deutschland sind – haben die doch nach zwei „leisen“ Platten mit „Monster“ gerade wieder ein rockiges Werk vorgelegt Daß “ To Bring You Me Lok“ allerdings ein besinnliches Album ist, wäre ein Mißverständnis. Noch immer futtert Harvey ihre Dämonen, um sie auszutreiben. Und noch immer haben ihre Rollenspiele etwas Verstörendes, Undurchschaubares. Anders als Sängerinnen wie Tina Turner muß Polly Jean Harvey nicht durch die Hölle gehen, um „Authentizität“ zu erreichen. Die Hölle ist in ihr. Malte Oberschelp