PJ Harvey
The Hope Six Demolition Project
Auf ihrem wilden, erschütternden neuen Album beobachtet Polly Harvey die Schauplätze des Endes der Zivilisation
Eine Platte, die so beginnt, ist sehr wahrscheinlich eine großartige Platte: „Here’s the Hope Six Demolition Project/ Stretching down to Benning Road/ A well-known pathway of death (at least, that’s what I’m told)/ Here’s the one sit-down restaurant in Ward Seven. Nice.“ Das singt Polly Harvey in einem einfachen, irgendwie amerikanischen, hymnisch-eingängigen Lied, das aus den Sechzigern stammen könnte oder von Bruce Springsteen, der es aus den Sechzigern hat. PJ Harvey macht eine Ortsbegehung: „Here’s the old mental institution/ Now the Homeland Security base.“ Und am Ende wiederholt ein Chor mit falscher Emphase: „The Community of Hope/ They’re gonna put a Walmart there.“
PJ Harvey, die Engländerin, die England zittern ließ, bringt keine neuen Nachrichten in die Neue Welt. Randy Newman hat eine Platte über den Süden aufgenommen, „Good Old Boys“, und David Byrne inszenierte 1986 den Film „True Stories“ über die amerikanische Kleinstadt, und auf „Naked“, dem letzten Album der Talking Heads, beschreibt er, wie die Natur all die Parkplätze, Shopping-Malls und Walmarts verschlingt und Stiefmütterchen über das wachsen, was Zivilisation war.
Pervertierte Marschlieder
Aber Harvey geht an noch interessantere Orte, und ihre konzisen impressionistischen Bestandsaufnahmen werden bestärkt, kommentiert und konterkariert von unheimlicher und ironischer Musik, kübelt mit giftiger Intelligenz und ätzender Melancholie den Hohn aus. Sie geht an die Orte des Schreckens und der Zerstörung, durch ein wüstes Land der Kriege und Verheerungen, sie sieht die Zeichen an der Wand: „This is the Ministry of Defence/ The stairs and walls are all that’s left/ Mortar holes let through the air/ Kids do the same thing everywhere/ They’ve sprayed graffiti in Arabic/ And balanced sticks in human shit.“ Die Stöcke in der Scheiße: Polly Harvey hat das eine Bild gefunden, das beides erfasst – die Verzweiflung und das Weitermachen, das Wesen und die Verwesung.
„Near The Memorials To Lincoln And Vietnam“ handelt vordergründig gar nicht von diesen Monumenten. Sondern von einem Jungen, der so tut, als wollte er den Sperlingen etwas zu futtern hinwerfen, indem er eine Wurfbewegung macht. Aber seine Hände sind leer. Und die Leute gehen übers Gras und quetschen sich in Plastikstühle. Dazu lässt Polly Harvey Kinderchöre wie bei einem Schulausflug singen. Zwei Absätze Wahrheit.
Ein tief tönendes Saxofon zerreißt hier viele Songs, die im Blues gründen, die wie pervertierte Marschlieder klingen, wie Kriegstänze, wie Gospel, wie die Abzählreigen von Kindern.
Reines Genie.