Pixies

Bossanova

Wassermusik statt biblische Gewalt: "Bossanova", das dritte atemberaubende Album der Pixies.

Und Black Francis sang von Ufos, die in der Area 51 landen, von einer mythischen Puppe namens Velouria, die in den Wäldern ihr Unwesen treibt, und natürlich von Surfen, von den Wellen, die alles verschlingen, und das war schön so, wie Francis fand.

„Als würden Psychopathen die Musik für ein B-Movie aus den Fünfzigern komponieren“, so urteilte später Blur-Gitarrist Graham Coxon über „Bossanova“, das dritte Album der Pixies, erschienen 1990. Black Francis sah der Alien-Invasion jedenfalls freudig entgegen, auch wenn das seinen Tod bedeuten sollte: „I’m almost there to Vegas where they’re puttin‘ on a show / they’ve come so far i’ve lived this long at least i must just go and say hello“, waren seine letzten Worte im Album-Track „The Happening“, kurz vor einem brutal knappen Fade-Out.

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Auf dieser Platte schaffte die Band aus Boston einen Spagat, Black Francis paarte schier fassungslos machende Härte (eben „Rock Music“) mit wunderschönen Wassermelodien („Havalina“, „Ana“) – die Gitarrist Joey Santiago so zärtlich spielte, als hätte er in seinem Leben noch nie jemandem wehgetan. Es war auch Santiagos Sternstunde, er war Dr. Jekyll, mal Mr. Hyde. Mit dem Instrumentalstück „Cecilia Ann“, im Original von den Surftones, führten die Pixies Surfmusik vier Jahre vor Tarantino und dessen „Pulp Fiction“ zurück in die Popkultur. Eine eine junge Außerirdische, hereingeflogen „from distant star to this here bar“, verewigten sie im perfekten Popsong „Allison“. Die Band schaffte das in einer Minute und 18 Sekunden.

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Träume von Kalifornien, glühende Liebeslieder

„Bossanova“ erhielt vor 25 Jahren euphorische Besprechungen, vor allem in Europa. Man empfing die Platte mit offenen Armen, schon der Vorgänger „Doolittle“ (1989) war kurz nach Erscheinen als Triumph gehandelt worden (auch hier vor allem in Europa, in den USA brauchte man ein wenig länger). Heute betrachten Kritiker und Fans, aber auch die Pixies selbst, das Album als eher durchschnittlich. Vielen war die Band darauf zu soft, und Black Francis tat sich nach der Reunion 2004 zunächst schwer, mehr als drei Stücke davon live zu spielen.

Dabei hatte er sich auf „Bossanova“ weiter entwickelt, das Alte Testament mit seinen Darstellungen von Gewalt und Sexualität, aber auch die eigenen Inzestfantasien interessierten ihn nicht mehr. Der 25-Jährige Songwriter blickte in die Gegenwart des 20. Jahrhunderts, orientierte sich mehr denn je an seinem Vorbild Brian Wilson. Er wollte seine Träume von Kalifornien in glühenden Liebesliedern verewigen. Und so wie beim Beach Boy Wilson schwang auch beim dicklichen Black Francis Melancholie mit, weil er in den Songs zwar von Abenteuern berichtete, sie an den Stränden aber nicht selbst erlebte. Die anderen schwammen, er saß mit der Gitarre im Sand, das bedeutete auf jeden Fall mehr Zeit zum Nachdenken.

Tatsächlich waren drei der vier Pixies, Francis, Santiago und Schlagzeuger David Lovering, für die Aufnahmen von Boston nach Los Angeles gezogen. Lediglich „Blown Away“ wurde nicht dort eingespielt, sondern, bereits im Juni 1989, in den Hansa-Studios in Berlin (bei zwei von drei Berliner Konzerten seit 2004 führten sie das selten intonierte „Blown Away“ auch auf, allerdings ohne auf die Stadt bezogene Ansage). Bassistin Kim Deal stieß 1990 in L.A. erst später dazu, sie war mit den Aufnahmen des Debüts ihrer eigenen Band Breeders beschäftigt.

Bei keinem der 14 Stücke arbeitete Deal entscheidend mit (das 15. Lied, die von Lovering gesungene Debbie-Gibson-Hommage „Make Believe“, flog im letzten Moment von der Tracklist, die Lyrics aber waren schon im fertig druckten Booklet). Insofern stellte „Bossanova“ so etwas wie das erste Soloalbum des Komponisten Black Francis dar. Deals Einsatz als Vokalistin beschränkte sich hier auf den Background, Wörter sang sie wenige, wenngleich ihre „Ohhhhs“ und „Ahhs“ und „Arizooooonas“ noch immer perfekt harmonierten mit den unerwarteten Schrei-Attacken des Mannes rechts neben ihr am Mikro.

Dokument eines Zerwürfnisses

In jenem Jahr waren die Spannungen innerhalb der Pixies immer schwerer zu kaschieren. Bei einem Konzert in Stuttgart 1989 hatte Black Francis in einem Wutanfall seine Gitarre nach Deal geworfen, weil sie zu spät zum Gig aufkreuzte. Diesen Ausbruch soll sie ihm nie verziehen haben. Auf der Bühne stahl die schlagfertige Musikerin ihrem Frontmann von da an erst recht die Show. Bootlegs der „Bossanova“-Tour dokumentieren, wie sie – selbst in älteren, von ihr geprägten Stücken – immer weniger singt und dafür zwischendurch umso lustigere Sachen dem Publikum erzählt. Mit seinen eigenen Ansagen („There’s a lot of smoke in this song … a lot of smoke …“) konnte Francis nicht gleichziehen.

Der Album-Opener „Cecilia Ann“ wurde zum traurigen Dokument des Zerwürfnisses. Wie Francis einst zu Protokoll gab, hat er das Instrumentalstück nur aus einem Grund immer öfter zum Eröffnungslied ihrer Auftritte erkoren. Da eben weder er noch Deal in „Cecilia Ann“ singen, konnte ihr Tontechniker es beim Konzert als Quasi-Soundcheck nutzen, so dass die zwei Streithähne den echten Soundcheck vor dem Konzert auslassen konnten, keine Abstimmungen mehr erforderlich waren. Erst ab Song zwei brauchte der Liveklang inklusive des Gesangs stimmen. „Cecilia Ann“ dauerte zwei Minuten und fünf Sekunden, eine sportliche Herausforderung für jeden Tonmann also. Und Francis und Deal saßen das aus, benahmen sich wie ein altes Ehepaar.

Als die Pixies im September 1991 ihr vorläufig letztes Album veröffentlich sollten, „Trompe Le Monde“, feierten Kritiker und Fans erneut ein Fest. Fünfte Veröffentlichung, fünfter Volltreffer. Wenngleich Deal weniger zu hören war als je zuvor. Mit heutigem Wissen scheint klar, dass die vier Musiker damals kurz vor der Trennung stehen mussten, in der Ära vor dem Internet kamen Wahrheiten und gesammelte Beobachtungen aber nicht ganz so schnell ans Tageslicht. Ein Jahr würde es die Pixies noch geben. Die Hoffnung auf ein weiteres Album aber sollte sich für viele Jahre nicht erfüllen.