Es ist in Vergessenheit geraten, dass „Trompe Le Monde“, der vorläufige Schwanengesang der Pixies, der Band seinerzeit beste Besprechungen einbrachte. Heute glauben viele zu wissen, dass die Musiker nach „Doolittle“ von 1989 kontinuierlich abbauten – aber wie beim Vorgänger „Bossanova“ wurde damals die Weiterentwicklung des Sounds hin zu mehr Surf, Piano und Romantik bejubelt. Fans und Kritiker sahen die vier Musiker auf einer Reise, während der sich Komponist Black Francis immer mehr Stile einverleibte.

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Meldungen über Spannungen zwischen Black Francis und Kim Deal gab es seit zwei Jahren, aber nichts davon konnte, in der Ära vor dem Internet, so aufgebauscht werden, dass man sich um die Band Sorgen machte. Umso härter der Schlag, als der Sänger im Frühjahr 1993 die Trennung verkündete.

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Zwei Gerüchte umranken „Trompe Le Monde“, und an beiden ist nicht viel dran. Das vierte Album gilt als jenes, für das Black Francis „aus der Mottenkiste seine übrig gebliebenen Songs herauskramte“ – die Platte als Werk voller Füller. Das stimmt nicht: Die 15 Songs waren bis auf „Subbacultcha“ und „Distance Equals Rate Times Time“ (die in einer Frühfassung 1986 ein gemeinsames Lied bildeten) allesamt Neukompositionen, dazu gab es die Single-B-Seite „Build High“, im Original von 1987. Das war’s an Aufgewärmtem.

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Und als „Rückkehr zur alten Form“ pries man die Vorab-Single „Planet Of Sound“, zwei Minuten und sieben Sekunden Garage Rock, der zum geliebten LP-Debüt „Surfer Rosa“ gepasst hätte.

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„Planet Of Sound“ war jedoch nicht stellvertretend für den Stil des Albums, auf dem Black Francis seinen Leidenschaften weiter nachging. Ufos und deren Weg zur Erde, astrophysikalisch betrachtet („Distance Equals Rate Times Time“), Rock-Historie („Letter To Memphis“) oder die Geschichte der Ureinwohner („The Navajo-Know“). Eben durch und durch amerikanische Themen: Vergangenheitsbewältigung sowie die Angst vor Invasion des Heimatkontinents durch Außerirdische – obwohl die Amerikaner ihr Land einst selbst als Eroberer betraten.

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Dazu experimentierten die Pixies mit Keyboards („Alec Eiffel“) und generell mit der Songlänge, die Band ließ ihre Lieder ausfransen, wie in „Motorway To Roswell“.

All das macht „Trompe Le Monde“ unter den herausragenden ersten vier Alben nicht zu ihrem besten. Aber auf jeden Fall zu ihrem mutigsten.

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Und es war auch ein Schritt in Richtung Solo-Karriere. Black Francis sortierte seine Bassistin Kim Deal als Sängerin nahezu aus, bis auf ein paar „Ooohoos“ ist sie kaum zu hören. Er ließ sich auch nicht erweichen, Deal „Bird Dream Of The Olympus Mons“ (ein Anwärter auf den Songtitel des Jahres!) zu überlassen, was ihr nach „Gigantic“ vielleicht einen weiteren Hit, wieder ein größeres Standing beschert hätte.

Stattdessen kündigte die Ausweitung der Arrangements auf Tasteninstrumente jenes Pop-Schema an, das Black Francis, dann unter dem Namen Frank Black, ab seinem Solodebüt von 1993 weiter ausbauen würde.

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Bei ihrer Reunion von 2004 wurde, vielleicht auch, um den Bandfrieden zu wahren und die spannungsfreiere Frühzeit zu honorieren, die Geschichtsklitterung bestätigt – und damit der heute niedrige Stellenwert von „Trompe Le Monde“. Die Pixies spielten zunächst nur maximal vier der Lieder live („Planet Of Sound“, „Subbacultcha“, „U-Mass“ sowie das Cover eines Songs von The Jesus and Mary Chain, „Head On“).

Mehr Orgel, mehr Freiheiten

Wie sehr die Band von Nostalgie erfasst war, zeigte damals ein Blick auf ihre Homepage, auf der für kurze Zeit Livemitschnitte vertrieben wurden. Viele Konzerte waren da zu finden – aber nichts von der „Bossanova“-Tour, nichts von der „Trompe Le Monde“-Ära. Dabei verlief gerade jene Phase, zumindest auf der Bühne, wahnsinnig aufregend. Im Vogelfrei-Modus intonierten die Pixies die ersten vier Stücke ihrer Sets schon mal als Instrumentals, und mit Eric Drew Feldman von Pere Ubu engagierten sie erstmals einen Live-Keyboarder. Feldman setzte aber nicht nur die Sounds der aktuellen Platte um, er stattete auch Klassiker wie „Gouge Away“ mit Orgelklängen aus. So entstanden Fassungen, wie sie heute kaum bekannt sind, da es nur wenige Bootlegs aus der Zeit gibt.

Die Pixies hatten damals schon gegen die eigene Uhr gespielt. Ihre Auftritte als Support-Band für U2 im Rahmen der „Zoo TV“-Tour von 1992 hätten ihnen zwar neues Leben einhauchen können. Größeres Publikum, neue Zielgruppe. Im Pixies-Camp aber wurde die Konzertreise als Misserfolg verbucht. Die vier traten in zum Teil noch leeren Sälen auf, und obwohl die Band dank der kurzen Spieldauer ihrer Lieder in der typischen Vorprogramm-Länge von 30 Minuten eine recht umfangreiche Werkschau präsentieren konnten, waren die Amerikaner einfach nicht angetan. Das Ende nahte.

Der magische Herbst 1991

In diesem Monat blickt die Musikwelt auf den September 1991, in dem so viele wichtige Alben des Jahrzehnts erschienen sind, und die nun ihr 25. Jubiläum feiern. „Blood Sugar Sex Magik“ von den Red Hot Chili Peppers, „The Low End Theory“ von A Tribe Called Quest, „Use Your Illusion I + II“ von Guns N’Roses sowie „Nevermind“ von Nirvana.

Die Anekdote, nach der Kurt Cobain „Nevermind“ offenherzig als Ripoff des Pixies-Stils bezeichnet, ist natürlich bekannt. Dass Nirvana als Pixies-Jünger jedoch zu Weltstars werden würden und das letzte Werk ihrer Vorbilder völlig verdrängten, verleiht beiden Platten einen bitteren Beigeschmack. Das Leise-laut-leise von „Smells Like Teen Spirit“ feierten die Radio- und Fernsehsender derart ab, dass man hätte glauben können, die Pixies hätten über Jahre nur unter einer Käseglocke Musik gemacht.

Wer Vergleiche zwischen beiden Alben anstrengt, wird feststellen, dass „Trompe Le Monde“ nicht schlechter ist als „Nevermind“. Aber Cobain hatte die aufblühende Musikerszene von Seattle im Rücken, er war jünger, seine Songs waren schlichter, erdbezogener und poppiger, und er trug seinen Schmerz vor sich her, wie eine Einladung an Fans.

Dagegen hatte Black Francis, ermüdet, keine Chance mehr.