Pink Floyd
Wish You Were Here
Wie aus leeren Träumen Pink Floyds bittersüßes Opus Magnum entstand: Zum 40. Jubiläum von „Wish You Were Here“, einem Requiem für einen Lebenden.
„Es war eine schwierige Phase“, wird David Gilmour in Reflexion auf die Zeit zitiert, in der Pink Floyd „Wish You Were Here“ aufnahmen. „Es war eine ziemlich verwirrende und irgendwie leere Phase …“ Zwar ziehen sich Leere und Abwesenheit durch das Schaffen der Band wie ein roter Faden, doch die fünf Kompositionen dieses Albums triefen vor Löchern, schmerzlichen Verlusten und Ängsten vor ihnen – von dem überlangen Intro über die geisterhaften vier Gitarrentöne bis zu der stillen, sanften Coda. Nie zuvor und nie wieder gelang es der Band, ihre Leistungen derart konsistent auf den Punkt zu bringen. Heute, 40 Jahre später, ragt das Album wie ein Kubrickscher Monolith aus der Diskografie als das womöglich beste Album von Pink Floyd.
Diese schwierige Phase, wie Gilmour sie beschreibt, verdankten Pink Floyd ihrem eigenen Erfolg. „The Dark Side Of The Moon“ war, als es 1973 erschien, omnipräsent: Der Songzyklus über Leben, Tod und allem dazwischen mit dem charakteristisch-minimalistischen Cover katapultierte die Band in den Pop-Olymp. Und schon bald sahen sich Gilmour, Roger Waters, Richard Wright und Nick Mason mit der offensichtlichsten Frage konfrontiert, die man sich zu jenem Zeitpunkt nur stellen konnte: Was folgt auf ein Album, von dem in einem durchschnittlichen Einfamilienhaushalt zwei Exemplare stehen?
Das Experiment, neue Musik ausschließlich auf Küchengeräten zu erzeugen, „Household Objects“ genannt, scheiterte. Zwischen Weltruhm, Geld und Frauen schien die Kameradschaft, die einst die Musiker verband, zu zerfallen. Während der Arbeit an den neuen Kompositionen wurde offenbar mehr an Wochenendaktivitäten als an Musik gedacht. „Wir sahen uns nicht mehr in die Augen“, erzählt Waters. „Es lief alles sehr mechanisch ab.“
Der sozial noch nie besonders flexible Waters verarbeitete die Eindrücke dieser schmerzlichen Stimmung im Text zu „Shine On You Crazy Diamond“. Als majestätischer, herzerweichender Tribut an den Songschreiber und Gitarristen Syd Barrett verfasst, der die Gruppe in den Sechzigern gegründet hatte und aufgrund von übermäßigem Drogenkonsum regelrecht aus der Band geschmissen wurde, steht der überlange Song für mehr: Barrett ist der Repräsentant für jeden Abwesenden, eine tragische Allegorie. Es war ein zynisch-grausamer Zufall, dem es die Band zu verdanken hatte, dass bei den finalen Abmischungen des Songs ein übergewichtiger, kahl geschorener und geistig abwesender Syd Barrett das Tonstudio besuchte.
Zunächst erkannten Waters und Wright, einst beste Freunde des früh gescheiterten Songwriter-Talents, ihn gar nicht und vermuteten, dass ein Techniker einen Bekannten mitgebracht hatte. Als Gilmour sie dann über die Identität des über große Kühlschränke und Schweinekoteletts brabbelnden Mannes aufklärte, waren die Musiker zu Tränen gerührt. Diese Stimmung ist auf „Wish You Were Here“ omnipräsent, klingt jedoch nirgendwo so anrührend wie im samtig perlenden neunten und letzten Teil von „Shine On You Crazy Diamond“, in dem Wright das Motiv der zweiten Pink-Floyd-Single (und Barrett-Komposition) „See Emily Play“ zitiert.
https://www.youtube.com/watch?v=bT7bbgsyzKc
Es ist spannend zu verfolgen, wie der Titelsong des Albums sich trotz seiner musikalischen Simplizität einer Verwandlung in einen Mitgröl-Schunkler verweigert. Vielleicht ist es der beste Text von Roger Waters. Das Stück funktioniert nicht nur auf zwei, sondern gleich auf drei Ebenen. Die zwei verlorenen Seelen, die Jahr für Jahr in einem Goldfischglas umherschwimmen, stehen für getrennte Verliebte, für Kriegsgegner, für die Erinnerung an Verstorbene. Schenkt man Waters Glauben, der behauptet hat, es ginge um seinen eigenen Geist, der zwischen Habgier und Machtgelüsten sowie Mitleid und Idealismus hin- und herpendle, sind es sogar vier Ebenen.
Die bissige Kritik an der Musikindustrie in „Have A Cigar“ – mit dem herausragenden Gesang des Folk-Musikers Roy Harper – war zum Teil der Desillusionierung angesichts des Promi-Status geschuldet: Die Musiker waren vor ihrem Durchbruch immer wieder gefragt worden, wer von ihnen denn nun eigentlich Pink sei. Thematisch legt Waters dort den Grundstein für das Album „The Wall“, in dem er von Ruhm und Entfremdung sowie den tragischen Fall eines Rockstars namens „Pink“ erzählt. Pinks Geschichte weist zwar Parallelen zu Waters eigenem Leben auf, doch eigentlich dreht es sich wieder um Syd Barrett – kühler und stoischer als „Wish You Were Here“, das in seiner musikalischen Erhabenheit zum Träumen einlädt.
https://www.youtube.com/watch?v=M8spSUfnmxg
„Wenn du erfolgreich, ein berühmter Star bist, dann geht es dir gut, alles läuft perfekt“, so Waters. „Das ist der Traum – und jeder weiß, dass es ein leerer Traum ist.“ Wenn es jemand geschafft hat, die Leere dieses Traums zu füllen, dann Pink Floyd mit „Wish You Were Here“.