Pavement
Wowee Zowee
Matador
Für die einen ist ein Unfallwrack, für die anderen ein Geniestreich des amerikanischen Indierocks der Neunziger: "Wowee Zowee", die dritte Pavement-Platte, ist ein eklektisches Doppelalbum, das die Band von ihrer experimentellsten Seite zeigt, aber auch mit großen Melodien aufwartet.
Nach dem unerwarteten Erfolg ihres zweiten Albums „Crooked Rain, Crooked Rain“ standen Pavement 1994 am Scheideweg. Die Single „Cut Your Hair“ lief auf MTV, es gab Anfragen großer Labels und Festivals, die Touren, insbesondere in Großbritannien, waren ausverkauft. Das Ticket zum Erfolg war da, Pavement aber zogen es vor, beim Indielabel Matador zu bleiben und weitestgehend in Ruhe gelassen zu werden. An den ausgefransten Rändern des Grunge-Zeitgeistes war auch Platz für Stephen Malkmus und Kollegen, für demonstrativ ausgestelltes Gelangweiltsein, für ironische Verweise auf Punk und Classic-Rock und Songs, bei denen man nie genau wusste, ob hier Huldigung oder Parodie intendiert ist.
Diesen Ansatz hatte die aus Stockton, Kalifornien stammende Band bereits auf ihren ersten beiden Alben kultiviert. „Slanted & Enchanted“ und „Crooked Rain, Crooked Rain“ stehen einerseits in der Tradition britischer Art-Punk-Bands wie The Fall, und sind andererseits die Weiterentwicklung des amerikanischen Indierocks der Achtziger, besonders der Replacements und Minutemen. Beide Pavement-Alben wurden bereits bei Erscheinen als Klassiker gefeiert und bekommen seither in immer neuen Bestenlisten ihrer Status als wichtigste amerikanische Indiealben der Neunziger zementiert.
Als „Wowee Zowee“ im April 1995 in die Läden kam und in so ziemlich jeder Hinsicht das Gegenteil von dem war, was Kritik und Publikum erwartet hatten, war das Unverständnis dementsprechend groß. Der amerikanische ROLLING STONE urteilte, hier habe man es mit einer Band zu tun, die ganz offensichtlich nichts mehr wolle als ihren eigenen Erfolg zu sabotieren. Übermäßigen Drang zum Mainstream, Karriere-Eifer gar würde wohl niemand Pavement unterstellen. Das Bild der antriebslosen Slacker erweist sich mit Blick auf die damaligen Aufnahme- und Tourpläne der Band jedoch als genauso verfehlt. Auch wenn die Musiker dieses Image mit ihrer zerzausten Kleidung und den verschlafenen, langsamen Antworten in Interviews stets genüsslich kultivierten.
Die Aufnahmen zu „Wowee Zowee“ jedoch gestalteten sich alles in allem entspannt, und, wie die Beteiligten stets betonten, ohne dass man sich großen Druck gemacht habe – oft sind gar nicht alle Mitglieder auf den Songs zu hören. Vieles von dem Material, z.B. „Grounded“ und „Pueblo“, stammt zudem noch aus den Sessions zu „Crooked Rain, Crooked Rain“. Die eigentlichen Aufnahmen fanden in den Easley Studios in Memphis statt, fernab der damaligen Zentren der amerikanischen (Rock-) Musikwelt. Man kann das sowohl als Signal einer deutlichen Absage gegenüber dem Hype deuten, aber auch als Annäherung an einen traditionsreichen Ort amerikanischer Musikgeschichte, wo von Elvis bis Big Star viele Koryphäen bereits tätig waren. Um an den Mechanismen der Musikindustrie zu verzweifeln oder sich von Erwartungshaltungen seitens des Publikums zermürben und von Kurs abbringen zu lassen, waren Pavement ohnehin zu clever und abgeklärt.
Welche andere Band würde schon Pressekopien mit einem unfertigem Mix dieses heiß ersehnten Nachfolgers zum Durchbruchsalbum versenden?
Als Pavement das Studio verließen, hatten sie ein Album im Gepäck, das eklektisch zu nennen fast eine Untertreibung ist: Der Opener „We Dance“ ist eine Anti-Klimax von einem Song, „Brinx Job“ ein verballhornter Jam zu dem Malkmus immer wieder die Zeile „we got no money“ wiederholt, bevor im nächsten Song „Grounded“ wieder goldene Melodien aus dem Nichts kommen. So funktioniert „Wowee Zowee“: flüchtige Ideen und Geniestreiche gehen Hand in Hand, oft im selben Song. Das konsumkritische Punkstück „Serpentine Pad“ und das countryeske „Father To A Sister Of Thought“, stilecht mit Slideguitar gespielt, haben eigentlich nichts auf demselben Album verloren. Mancher sah in dieser wüsten Stilmischung einen unverschämten, betrügerischen Akt; statt einer Neuauflage der lässigen Gitarrenpopsongs von „Crooked Rain, Crooked Rain“ hatten Pavement nun ein unverdauliches 18-Song-Monster aufgenommen und dabei auf jegliche Kohärenz verzichtet. Stephen Malkums begegnete derlei Fragen von Journalisten schlicht mit der Erklärung, er habe bei den Aufnahmen eben exzessiv viel Marihuana geraucht.
Mit einigem Abstand wurde das Album nach den fast ausnahmslos ernüchternden Reviews bei Erscheinen aber rehabilitiert – und als stilistisch wagemutiges Experiment gefeiert, das heute vielen als beste und interessanteste Pavement-Platte gilt. Ein Vergleich mit einem anderen großen eklektischen Doppelalbum der Popgeschichte, dem „White Album“ der Beatles, liegt da vielleicht nahe. Denn ähnlich wie bei dem Geniestreich der Fab Four haben auch Pavement darauf verzichtet, eine klare Trennung zwischen großen Melodien und losen Ideenfetzen, zwischen Ernst und Albernheit, zwischen Rock, Pop, Country, Blues, Original, Referenz, Huldigung und Parodie zu ziehen – das bleibt bei Bedarf dem Hörer überlassen.
Was auf Papier anstrengend klingen mag, gestaltet sich beim Hören der Midtempo-Songs auf „Wowee Zowee“ allerdings weniger problematisch, klingen Pavement doch auf keinem anderen Album so entspannt und selbstsicher. Eilig hat es hier niemand, im Gegenteil, dem Rhythmus von „Motion Suggests“ oder der gejammten Melodie von „Grave Architecture“ haftet etwas derart Entschleunigtes an, dass man sich an die weiten Panoramen des mittleren Westens erinnert fühlt. So mag „Slanted & Enchanted“ das entscheidende Statement sein, „Crooked Rain, Crooked Rain“ die besten Songs enthalten, „Brighten The Corners“ das stringenteste Pavement-Album sein und „Terror Twilight“ das am sorgfältigsten produzierte, „Wowee Zowee“ aber ist mit seiner schlichten Fülle an Ideen die ergiebigste Platte der Band.
Natürlich ist „Wowee Zowee“ kein Album, das leicht zu lieben wäre. Ganz sicher aber zeigt es Pavement von ihrer kreativsten und unberechenbarsten Seite; und ist darüber hinaus in seiner demonstrativen Gleichgültigkeit gegenüber Kritikerlob und Publikumserfolg auch das ideelle Herzstück in der Diskographie der Band. Der Titel des Albums bezieht sich übrigens auf einen Ausruf von Schlagzeuger Steve West. Wann immer der etwas großartig fand, rief er im Studio laut „Wowee Zowee“.
Der von Bob Nastanovich vorgeschlagenen Albumtitel, „Dick-Sucking Fool At Pussy-Licking School“, wurde am Ende doch verworfen. Ins Booklet des fertigen Albums wurde er trotzdem gedruckt.