Paul Simon
„Seven Psalms“
Owl/Legacy/Sony (VÖ: 19.5.)
Halbstündige Suite: Seelenreise eines Agnostikers
Er wolle keine neuen Lieder mehr schreiben, hatte Paul Simon 2016 nach der Veröffentlichung von „Stranger To Stranger“ gesagt. Er wolle sehen, welchen Weg sich seine kreative Energie suchen würde, wenn er sie nicht in eine Songform zwänge. In der Mitte seines achten Lebensjahrzehnts hoffte der Agnostiker Simon wohl insgeheim, mit diesem Trick würde sich auf der Zielgeraden seines Lebens doch noch so was wie Sinn einstellen.
Simon hat Gott nicht gefunden, aber er hat begonnen, über ihn nachzudenken
Es war ein Traum, der ihn wieder zur Musik führte. Am 24. Todestag seines Vaters, Louis, wachte er im Januar 2019 aus einem Traum auf, in dem er an einem Album mit dem Titel „Seven Psalms“ arbeitete. In den Monaten danach sei er regelmäßig nachts mit Textzeilen im Kopf aufgewacht, erklärte er später. Er habe sie zu sieben Songs zusammengefügt. Den letzten habe er auf den Tag genau ein Jahr nach der ersten Eingebung beendet.
Wie schon Bob Dylan, Leonard Cohen und Nick Cave ist Simon also unter die Psalmisten gegangen, er eifert dem biblischen König David nach, der auf seiner Harfe Lieder zu Ehren Gottes sang. „The Lord is my engineer/ The Lord is the Earth I ride/ The Lord is the face in the atmosphere/ The path that I slip and I slide on“, singt er im Leitmotiv dieser halbstündigen Suite. Natürlich muss man da den alten Hit mithören: „You know the nearer your destination/ The more you’re slip slidin’ away.“ Simon hat Gott nicht gefunden, aber er hat begonnen, über ihn nachzudenken.
„Seven Psalms“ ist eine Seelenreise, ein inneres Zwiegespräch, eine Suchbewegung, ein Buch mit sieben Siegeln. Simon gibt Antonius Block; die Gegenwart – das Virus, die Flüchtlinge, der steigende Meeresspiegel – zieht vorbei wie eine biblische Plage. Die Musik mäandert und fließt, Gongs und Glocken, Drones und Flöten erweitern Simons akustische Gitarre in die Transzendenz. „Seven Psalms“ ist eher Debussy als Doo Wop. „Children, get ready/ It’s time to come home“, singt Simons Ehefrau, Edie Brickell, am Ende. Das letzte Wort stimmt das Paar gemeinsam an: „Amen.“