Paul McCartney

McCartney III

Genie im Spiel: Ohne Band und Produzent findet Paul McCartney im Lockdown zu sich selbst zurück

„Pure McCartney“ hat Paul McCartney eine seiner Retrospektiven genannt. Doch den reinen McCartney bekommt man eigentlich nur, wenn er sich unbeobachtet fühlt, nicht den Erwartungen entsprechen muss, die wir an ihn als klassischsten und romantischsten aller Beatles – als Beathoven quasi – stellen.

So wie im Winter 1969/70, als er sich mit einem Vierspurgerät zu Hause verbarrikadierte, um sich von seiner Post-Beatles-Depression abzulenken, oder im Sommer 1979, als er allein auf seiner Farm nur mal einen Synthesizer ausprobieren und dem Rockband-Alltag mit den Wings entfliehen wollte. Die so entstandenen Alben, „McCartney“ und „McCartney II“, galten der Kritik seinerzeit nicht viel, werden mittlerweile aber kultisch verehrt: als mutiges Home-Recording-Experiment das erste, als coole Proto-Electronica das zweite.

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Die Isolation, in der „McCartney III“ entstand, war dieses Mal keine selbst gewählte. Ursprünglich wollte McCartney nur den Song „When Winter Comes“, den er in den Neunzigern mit George Martin aufgenommen hatte, für den Soundtrack eines Trickfilms entstauben. Doch dann schien ihm der tägliche Gang in sein privates Studio ein Weg, die Pandemiezeit produktiv zu nutzen. „When Winter Comes“ beschließt nun das Album. McCartneys Stimme steht auf diesem ein Vierteljahrhundert alten Track noch in voller Blüte.

Im Herbst seines Lebens hat sie an Fülle und Wärme verloren, doch auf den neuen Songs von „McCartney III“ hält sie erstaunlich gut, weil er die Register nutzt, die ihm noch zur Verfügung stehen. Die seelenvolle Klavierballade „Women And Wives“ etwa singt er in tiefem Gospelton, den unwiderstehlichen Soul-Pop „Deep Down“ und die akustische Beatles-Reminiszenz „The Kiss Of Venus“ im Falsett.

Es ist der ungestoppte Spieltrieb, der den Reiz dieses Album ausmacht, der sich in den Arrangements jedes Stücks zeigt, besonders aber, wenn McCartney mit Formen experimentiert. Etwa im epischen Versuch in zeitgenössischem R&B „Deep Deep Feeling“, der sich von einem minimalistischen Fundament in psychedelische Höhen schraubt. Oder im unwiderstehlichen Art-Pop „Find My Way“, der klingt, als hätten Godley & Creme die Post-Rocker The Sea And Cake als Begleitband engagiert. Roll over, Beathoven!