„Paper Girls“: Comic-Adaption ohne Biss
Die Comic-Vorlage von Brian K. Vaughn ist ziemlich wild. Ihre Serien-Adaption auf Amazon Prime Video wirkt dagegen eingebremst und zurückgenommen.
Die Unmöglichkeit einer nur annähernd adäquaten Adaption eines Comics in Film- oder Serienform präsentieren sich besonders deutlich in der Serie „Paper Girls“. Autor Brian K Vaughn reißt im Comic durch überbordenden Einfallsreichtum mit, der sich in seinen Schöpfungen in wild hakenschlagenden Handlungssträngen und unberechenbarer Fantastik niederschlägt. All das gekonnt ausbalanciert auf dem Fundament der Fragen nach der Unschuld der Jugend und der Desillusion des Erwachsenwerdens.
Was zunächst mit leichten „Stranger Things“-Vibes in einem Vorort Ende Clevelands Ende der Achtziger Jahre als Geschichte um ein Quartett junger Zeitungsausträgerinnen beginnt, entspinnt sich in nur wenigen Seiten zu einem transtemporalen Konflikt, der die vier Protagonistinnen quer durch die menschliche Geschichte katapultiert. Fliegende Pyramiden mit Lovecraft-Anleihen, prähistorische Riesenfaultiere, hungrige Weltraumamöben und hochhausgroße Gundam-Roboter sind dabei nur einige der Gaststars, die in den 30 Ausgaben der Comic-Reihe ihren Auftritt haben.
Großes Pathos, aber auch große Fragen
Währenddessen führen zeitreisende Teenager und eine erzkonservative alte Garde in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft einen ewigwährenden Krieg um das Schicksal der Menschheit. Ja, korrekt: Vaughns Geschichten tendieren zu größtmöglichen Einsätzen, halsbrecherischem Erzähltempo und genug Ideen, um daraus vier Serien zu spinnen. Vaughn neigt jedoch nicht nur zum erzählerischen Superlativ, seine Geschichten bergen stets einen Kern kluger Fragen. Während die vier Mädchen durch die Zeit springen, treffen sie immer wieder erwachsene Versionen ihrer selbst. Große Erwartungen an die eigene Zukunft krachen auf die desillusionierend banale Wirklichkeit des Erwachsenseins und den damit verbundenen Verrat an sorgsam gepflegten Idealen der Jugend.
Der Vergleich zu der Serie der Duffer-Brüder wird im Umfeld der Veröffentlichung der Serie wiederholt aufgebracht – auch wenn die erste Ausgabe von „Paper Girls“ knapp ein Jahr vor der ersten Staffel „Stranger Things“ erschien. Doch mit den beinahe ausschließlich weiblichen Figuren, einem sehr viel härteren Tonfall und dem weit weniger nostalgisch verklärtem Blick auf die verlorene Unschuld der Kindheit, bewährt sich die Comic-Vorlage als doppelbödiges Juwel. Der große Haken der nun auf Prime Video gestarteten Serienfassung liegt auf der Hand: Eine Schöpfung, die als austarierte Mischung aus präzisem Storytelling, bemerkenswert coolem Artwork und hintersinniger Science Fiction-Geschichte die Stärken des Mediums Comic voll ausnutzt, lässt sich nicht einfach in eine neue Erzählform pressen.
Verve und Spritzigkeit der Vorlage gehen in der Serienadaption ebenso verloren wie einige der verrückteren Setpieces, die schon auf Grund ihres schieren CGI—Aufwands nicht ohne erhebliches Blockbusterbudget realisierbar gewesen wären. Mit stark diesen Gegebenheiten angepasstem Plot bleibt nicht allzu viel übrig vom Original. Was zwar mehr als bedauerlich ist in Hinblick auf die potentielle Science-Fiction-Tour de Force, die „Paper Girls“ hätte sein können. Dem im Streaming-Boom erzählerisch und inszenatorisch zuletzt öfters uninspiriert wirkenden Medium der Serie täte die Wildheit und ästhetische Entschlossenheit der Comic-Vorlage gut.
So zeigt sich die Serie eher wie eine Improvisation auf das gleiche Thema von einem Künstler, der jene Kunstform hinter sich lässt, die er beherrscht. Als Autor der Comic-Vorlage intoniert Brian K. Vaughn in wilder Spielfreude mit Tempowechseln und ungehörten Riffs einen modernen Klassiker des Mediums. Als Produzent der TV-Serie covert er sein eigenes Stück als eingebremsten und zurückgenommenen Serienwalzer, der eher mäandert als das er mitreißt.