Der für dies Projekt als Produzent abgestellte Richard Seidel war um seinen Job nicht zu beneiden. Denn für die drei CDs, die man bei der Legacy-Abteilung als Porträt und richtig umfassende Werkschau der Sängerin als ausreichend erachtete, hatte er die Qual der Wahl.

Nina Simone hat auf diversen Labels mehr als vier Dutzend Original-LPs veröffentlicht. Von denselben wurden bislang über 200 Sampler während der LP- und CD-Ära zusammengestellt. Allein während der zwölf Monate nach ihrem Tod in der südfranzösischen Wahlheimat am 21. April 2003 veröffentlichte man von ihr mehr als 40 CDs! Kein Wunder, dass im kurzen Vorwort des Produzenten dieses Box-Sets zwangsläufig auch mal der Begriff „illegitimate“ fällt.

Für jemanden, der im Lauf einer jahrzehntelangen Karriere gerade mal eine Handvoll richtig ausgewachsener Hits vorweisen konnte, hatte diese Sängerin eine sehr loyale Fan-Gemeinde, die auch nicht autorisierte Konzertmitschnitte jederzeit kaufte und sie auch dann noch unbedingt live erleben wollte, als man sie- erst 68, aber schon sehr gebrechlich- für ihre Darbietung 2001 auf die Bühne der Carnegie Hall führen musste.

Als sie an der Juilliard School of Music in den 50er Jahren ihr Studium (klassisches Piano) begann, war das für jemanden aus Tryon, North Carolina, und von schwarzer Hautfarbe alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Den Lebensunterhalt verdiente sie sich mit Nachhilfeunterricht selber. Den ersten Job als Pianistin und Sängerin bekam sie in einem Club in Atlantic City.

Als ihr Mann und Manager Andy Stroud erklärte, sie müsse sich im Gefolge dieser British Invasion ein neues Publikum erschließen, nahm sie das ihr auf den Leib geschriebene „Don’t Let Me Be Misunderstood“ auf- als ziemlich bluesige Soul-Ballade und das ganz anders deutend als wenig später Eric Burdon mit den Animals. Womit sich die Geschichte von „It’s All Over Now“ wiederholte: Die Animals-Single wurde natürlich der Hit, Platz 15 in Amerika und Top 3 in England ein Jahr später. Dasselbe passierte, als sie einwilligte, Screamin‘ Jay Hawkins‘ „I Put A Spell On You“ 1965 für eine LP mit demselben Titel aufzunehmen.

Das war keine Voodoo-Beschwörung, sondern ein unglaubliches, üppigst mit Bläsern und Streichern arrangiertes Soul-Lamento und Liebes-Flehen, was sie aus der Vorlage machte. Ein Jahr später dachte sich Alan Price ein radikal neues Arrangement aus- und natürlich war das der Hit, mit dem seine Solo-Karriere sehr steil abhob. Einen späten Achtungserfolg konnte Nina Simone damit aber trotzdem verbuchen: Platz 28 der englischen Hitparade, als das Ende 1968 noch mal als Single veröffentlicht wurde.

Tabu war für sie musikalisch fast nichts. Blues so wenig wie Duke-Ellington-Klassiker, Chansons nicht und Soul sowieso nicht. Gospel im engeren Sinne des Begriffs war nicht so ganz ihr Ding, aber hymnisch bewegt sang sie auch schon mal. Dass ihr Gershwin doch ganz besonders lag, hört man hier auch bei „My Man’s Gone Now“, wo ein Element von Nachtclub-Entertainment (das von später, sehr später Stunde) auch zum Charme dieser Interpretation gehört.

Die Auswahl für die zweite der drei CDs legt den Verdacht sehr nahe, dass Seidel mit diesem Set Nina Simone einem Publikum nahebringen möchte, dem sie bislang etwas fremd blieb- gerade weil sie sich als Universalistin in allen möglichen Stilen verstand, aber damit auch für ein breiteres Publikum unfassbar blieb. Auf das berühmte bürgerrechtsbewegte „Mississippi Goddam“ folgen Songs, die ihr Manager gewiss zwecks größerer Popularität seiner Frau ausgesucht hatte.

Die innig vorgetragene „In The Morning Of My Life“ und „Seems I’m Never Tired Of Loving You“ (wunderbare Carolyn-Franklin-Vorlage), das entschieden nicht gleichermaßen bewältigte „What You Gotta Do“ von Jimmy Webb, ein zum Niederknien gutes „Just Like Tom Thumb’s Blues“, das mit bebender Stimme vorgetragene „The Times They Are A-Changin'“, amüsant bis ziemlich arrogant und Diva-like Randy Newmans „I Think It’s Going To Rain Today“. Eigenwillig auf angenehmere Art waren ihre live gesungenen Deutungen von „Black Is The Color Of My True Love’s Hair“ (Donovan), „Who Knows Where The Time Goes“(Denny) und „Suzanne“ (Cohen). Bei Letzterem, sehr gewollt originalitätssüchtig, ist ein Element von Satire und (auch überheblich anmutender, aber für sie wohl charakteristischer) Parodie kaum zu überhören.

Wer die Dame nie im Konzert erlebte, für den dürfte das, was sie (bzw. auch ihre Arrangeure) aus Vorlagen von George Harrison, Jerry Jeff Walker, Tina Turner oder Babatunde Olatunji macht, doch sehr gewöhnungsbedürftig sein. Randy Newmans „Baltimore“ als Reggae mit Cracks wie Eric Gale und vielen Streichern im Studio klingt schon höchst amüsant.

Remastering-Ass Mark Wilder musste bisweilen bei wichtigen Aufnahmen ihrer Philips-Ära tatsächlich auch mal auf Vinyl-LP als Quelle zurückgreifen. Was dem ganzen Projekt zwischendurch eine gewissermaßen authentische Note gibt. Historisch im doppelten Wortsinn kann man auch die Zugaben auf der DVD mit den Videos von 1970 sehen. (Sony Legacy)