Nick Cave & The Bad Seeds – „Your Funeral… My Trial“
Nick Cave wird sich immer an jenen Tag erinnern, als er im Elternhaus einer Freundin die Platte „Songs Of Love And Hate“ von Leonard Cohen hörte. Zu sagen, dass dieses Album auf den jungen Nonkonformisten einigen Eindruck machte, wäre eine Untertreibung.
Etwa zehn Jahre später eröffnete „Avalanche“ das erste Solo-Album von Nick Cave, an dem Musiker mitwirkten, die später fast alle aus eigenem Recht in Avantgarde-Kreisen bekannt wurden: Mick Harvey, Barry Adamson, Blixa Bargeld, Hugo Race und Anita Lane. Diese erste Besetzung der Bad Seeds veranstaltet auf „From Her To Eternity“ (1984, **) ordentlich Krach, Cave rezitiert und salbadert angestrengt, man dilettiert. Für „The Firstborn Is Dead“ (**1/2) tauchte Cave 1985 tief in den Blues („Blind Lemon Jefferson“) und hatte auch eine Faszination für Elvis („Tupelo“), doch noch immer produzierten die Bad Seeds Geröll und Gewölle, spuckte und wütete der Sänger in den unstrukturierten Stücken.
An dieser Stelle geschah die erste Zäsur in Caves Werk, das die damals überschaubare Gemeinde teilte. Bei „The Good Son“ und „The Boatman’s Call“ (und größerem Publikum) sollte sich der Vorgang wiederholen: Die alten, orthodoxen Anhänger des Gruft-Predigers wollten weiterhin in den dunklen Schlund des Elends blicken. Aufgeschlossenere Menschen, die Caves Begabung erkannten, begrüßten „Kicking Against The Pricks“ (1986, ***1/2).
Auf dieser Platte singt der Australier „Long Black Veil“ und „Hey Joe“, „Something’s Gotten Hold Of My Heart“ und „By The Time I Get To Phoenix“- und wenn auch nicht alles überzeugend klingt, so machten diese Interpretationen manchen Punk-Anhänger mit der Wonne der Country Music und des Pop-Songs bekannt. Dass alle Caveschen Interpretationen den Originalen (oder anderen Cover-Versionen) überlegen seien- das wäre allerdings eine Übertreibung.
Auf der DVD sieht man die Köpfe von Künstlern, Musikern, Kritikern (darunter Martin Gore, Thomas Wydler, Blixa Bargeld, Barry Adamson und viele andere schräge Vögel) vor dunklem Hintergrund, und alle erzählen glühend, zweifelnd, beseelt von dieser einen Platte, insgesamt 40 Minuten lang. Hier hatte auch ein jugendlicher Sixties-Fan, der die Platte zusammen mit Tom Waits‚ „Rain Dogs“ gekauft hatte, ein Heureka-Erlebnis und hörte fortan nur noch die erste Seite von „Pricks“.
„Your Funeral…My Trial“ (1987) vereint erstmals das Rezitative, das Dunkle und den Horror des Frühwerks mit großen Songs wie „The Carny“ und „Stranger Than Kindness“. Von Flood in den Berliner Hansa Studios aufgenommen, ist es das Dokument jener chaotischen und ungesunden Zeit, als Cave mit Bargeld und Wydler durch die Frontstadt trank und taumelte, den Mythos von David Bowie und Iggy Pop in den Siebzigern reanimierend.
Es folgte, im Jahr darauf, „Tender Prey“ – der Triumph und die Popstarwerdung des Schmerzensmannes. Und auch die Alben von da an werden demnächst so vorbildlich neu ediert.(mute/EMI)
Arne Willander