Mykki Blanco
„Stay Close To Music“ – Gebrochene Pose
PIAS (VÖ: 14.10.)
Vielschichtiger Queer-Pop mit prominenten Gästen
Als Mykki Blanco 2012 mit dem Video zu „Wavvy“ viral ging, war die Verwirrung groß. Ein dürrer Gangster-Rapper, der sich nach einem Drogendeal plötzlich in eine langhaarige Diva verwandelt und sich lasziv in diamantenbesetzten Dessous rekelt – das war neu, mutig, wegweisend. Schnell wurde Blanco in die winzige Szene der New Yorker Queer-Rapper um Le1f, Cakes Da Killa und Zebra Katz eingeordnet. Doch Blanco wollte sich weder auf die rappende Dragqueen noch auf die queere Ikone reduzierenlassen. Als in der New Yorker Punk- und Kunstszene geborene Kunstfigur setzt Mykki Blanco gekonnt Brüche in ihre Posen. Auf den Promofotos ihres dritten Albums zeigt sich die Performancekünstlerin als psychedelische Babuschka mit einem Strauß Radieschen in der Hand.
Blanco geht es vor allem um die Realität hinter der Fassade
Die Gästeliste liest sich eher wie ein Indie-Mixtape denn wie ein Who’s who identitätspolitischer Diskurse: Anohni, Devendra Banhart, Jónsi von Sigur Rós, Dance- Produzent MNEK, Rap-Pionier Saul Williams und Michael Stipe verneigen sich mit Hooks und Hintergrundgesang. Als Vorbild für das Songwriting nennt Blanco unter anderem David Crosby. Tatsächlich regiert hier mehr noch als auf dem von Funk und Soul geprägten Vorgänger zeitgeistiger Pop voller klackernder Hi‑Hats und minimalistischer Synth-Melodien. Nur die Rap-Einlagen reißen einen immer wieder aus dem Traum von Starruhm und reibungsloser Selbstverwirklichung.
„I hate to see you so low, I hate to see you so fucked up“, heißt es im von Michael Stipe mitgetragenen „Family Ties“, einem Song über das langsame Zerbrechen eines Familienmitglieds. Auch wenn sie Verwandlungskünstler wie Bowie zu ihren Vorbildern zählt, geht es Blanco vor allem um die Realität hinter der Fassade, um echte Liebe, tiefe Verbindungen, Verletzlichkeit und den täglichen Kampf gegen Diskriminierung. „I got to win, I got to fight/ For every little queer, every kid alone with fear“, rappt sie in der Selbstermächtigungshymne „Carry On“, die das Album beschließt. Authentizität und chamäleonartiger Pop-Glamour: Hier schließen sie sich nicht aus.