Moby Grape – Moby Grape :: Neue Editionen der Alben der legendären Westcoast-Band
So abstrus war die Idee gar nicht, die Skip Spence für „Just Like Gene Autry: A Foxtrot“ für das zweite Moby Grape-Album „Wow“ (* * * 1/2) eingefallen war. Um diesen Song zu hören, mussste man den Tonabnehmer aus der Rille heben, die Umdrehungsgeschwindigkeit auf Schellack-konforme 78 Umdrehungen pro Minute einstellen und den Tonarm mit etwas Fingerspitzengefühl über der neuen Einlaufrille absenken. Die „celestial melodies of Lou Waxman and his orchestra“ waren ein höchst amüsantes Stück Crooner-Nostalgie, ganz ähnlich (nur nicht so ironisch) wie die, mit der Tiny Tim seine ganze (und Leon Redbone später auch ein gutes Stück sei ner) Karriere bestritt. Nur war das selbst im Jahr von „Get Back“ und dem Comeback von Fats Domino für den gewöhnlichen Rockfan etwas zuviel Retro-Seligkeit.
Dass der (über)reichlich LSD konsumierende Skip Spence da schon ziemlich durchgeknallt war, konnte man bei einem Song wie „Motorcycle Irene“ zumindest nicht hören. Entschieden bizarrer klang da schon die mit Jerry Miller geschriebene Country-Parodie „Funky-Tunk“. Zehn Tage vorher (am 15. Januar 1968) aufgenommen, aber nie fertiggestellt, dokumentierte das Demo von „Seeing“ die Folgen des Drogenkonsums. Ein vergleichbares Studio-Outtake — ist eine von sechs Zugaben auf „Wou'“—wurde von Syd Barrett nie veröffentlicht, und man kann durchaus darüber streiten, ob es sinnvoll war, diesen Hilfeschrei eines Suchtkranken nach fast vier Jahrzehnten als „Bonus Track“ (hmmm…) zu präsentieren.
Im Übrigen war „Wow“, was das Niveau des Songwnting unterm Strich angeht, durchaus von einer Qualität, die so ungnädige Verrisse nicht verdient hätte. Wären da nicht ein paar Band-Mitglieder gewesen, die sich von dem untergründig schon grassierenden Jam-Session-Virus infizieren ließen, mit AI Kooperund Michael Bloomfield ins Studio gingen und dort Jams und Psychedelik-Kuriosa wie „The Lake“ improvisierten. „A Day In The Life“ war „Grape Jam“ (* *) wirklich nicht, und Blues hatte Jerry Miller schon mal wesentlich konzentrierter gespielt. Natürlich saß mit Bloomfield bei „Marmalade“ kein Amateur am Piano. Aber derlei ausufernde Jam-Sessions erwartete man gerade von dieser Band zu allerletzt.
Das spektakuläre Debüt ‚war nämlich eine exemplarische Lektion in Sachen Songschreiber-Ökonomie gewesen. Das brachte es —11 von 13 Songs unter drei Minuten — gerade mal auf wenig mehr als eine halbe Stunde Spielzeit, und trotzdem kam nie jemand auf die Idee, dasss es sich bei so etwas wie der Otis-Redding-Hommage „Mr. Blues“ oder beim Rocker „Fall On You“ mit dem aufs Wesentlichste konzentrierten Gitarrensolo um Skizzen handeln würde. Die kleine Folk Rock-Musik „Ain’t No Use“ war nach anderthalb Minuten vorbei – und alles gesagt.
Parallelen zu anderen San Francisco-Bands ließen sich da nur bedingt und selten ziehen.
„Sitting By The Window“ war ein introspektives Stück Ballade, wie man sie ein wenig ähnlich auch von Marty Baiin kannte. Lind „Indifference“ von Skip Spence erinnerte Fans vor Ort vielleicht an die Truppe um John Cipollina, die Quicksilver Messenger Service live erlebt hatten (zu dem Zeitpunkt ja noch ohne Plattenvertrag). Aber das klang doch ziemlich unvergleichlich, wie sich der elitärste Rock’n’Roll-Männergesangsverein an der Westküste seit den Beach Boys durch alle möglichen Stile von Blues bis Garagenrock musizierte, ohne dass Vorbilder durchschimmerten. Ganz anders als Big Brother & The Holding Company, war das eine fast schon ultraprofessionelle Truppe von fünf Musikern, die sich auch als Songschreiber oft genug erfolgreich gegenseitig inspirierten.
1989 veröffentlichte Demon/ Edsel das Debüt mal klammheimlich für eine kleine Weile -garantiert ohne Wissen des ersten Managers Matthew Katz in England erstmals auf CD. Vier Jahre später brachte Columbia das dann in der Legacy-Serie komplett auf der Doppel-CD „Vintage“, einer nach wie vor lieferbaren und dem Titel gerecht werdenden „Very Best Of“-Retrospektive der Band. Mittlerweile ist das anscheinend wieder die einzige „erlaubte“ Möglichkeit, das Debüt und auch reichlich hervorragendes Songmaterial von „Wow“ weiter kennen und schätzen zu lernen. Sundazed darf – aus Gründen, die bis Redaktionsschluß immer noch nicht öffentlich gemacht worden waren — die ersten beiden Alben nicht weiter auf CD liefern. Da der Name des Managers nirgends im Kleingedruckten von „Moby Grape ’69“ auftaucht, kann man sich seinen eigenen Reim darauf machen, warum Nach-Auflagen der früheren Platten nicht erscheinen dürfen.
Durch den Abgang von Skip Spence hatte sich die Band so wenig entmutigen lassen wie durch die schlechte Presse nach „Wow“. Genau genommen war „Moby Grape ’69“ (* * * *) samt dem als Trotzreaktion oder Achselzucken deutbaren Titel ein Comeback – und was für eines. Der Vergleich mit „Abbey Road“ wäre etwas zu hoch gegriffen. Aber zu welchen Höhen sich Moby Grape als Quartett noch einmal aufschwangen, ist leider selten richtig gewürdigt worden. Gnadenlos unter Wert gehandelt, war das hier Songwriting von einer so überragenden Ohrwurm-Klasse, dass man viele dieser Aufnahmen tatsächlich als Single hätte auskoppeln können, die Balladen von Peter Lewis wie diesen genialen Bluesrocker von Bob Mosley („Hoochie“) und Jerry Millers/Don Stevensons „Captain Nemo“, das zu den allerbesten des Debüts gehört hätte. „Seeing“, den Hilferuf von Skip Spence, jetzt doch noch fertig produziert, als letzten Song der LP zu präsentieren, war schon waghalsig.
Soviel hochkarätiges kollektives Songwriting konnte Peter Lewis allein bei „Truly Fine Citizen“ (* * * 1/2) nicht ersetzen.
Das kürzlich aus diesen Bob-Irwin-Remasterings zusammengestellte „Listen My Friends! The Best Of Moby Grape“ (Columbia Legacy, * * 1/2) ist eine Auswahl fürs erste Kennenlernen.