Mit „Endless Summer Vacation“ liefert Miley Cyrus ihr Opus magnum ab
Mit 30 wird Cyrus endlich zum formvollendeten Popstar
Pop-Rockereien, Schrillnudel-R&B, Country-Disco: Was hat „Miss Wandlungsfähig“ Miley Cyrus nicht schon alles gemacht. Damit ist sie in die Fußstapfen all der Shapeshifter wie David Bowie oder Madonna getreten, welche die Popmusikgeschichte mitgeprägt haben. UK-Kritiker Nick Levine merkt auf „BBC“ an, dass Cyrus diese Persönlichkeits-Stunts zur persönlichen Marke ausbaute. Als vollendeter moderner Popstar hätte sie sich die „verschwimmenden Genregrenzen des 21. Jahrhunderts“ zunutze gemacht. Ganz Kind einer Pop-Ära, in der eklektische Spotify-Playlists bei der Hörerschaft mehr Anklang finden als traditionelle – und zumeist das Genre vorgebende – Playlists der Formatradios.
Man vergisst ja gerne, dass sie ihre Karriere bereits vor 17 Jahren begann, als sie als Teenager einen „fictional pop star“ in der Disney-Serie „Hannah Montana“ personifizierte. Bereits als Kunstfigur marschierte Cyrus durch alle Genres. Jetzt, mit 30, hat die Sängerin, Schauspielerin und Multi-Ikone mit „Flowers“ einen ihrer größten Hits überhaupt abgeliefert. Ein locker-leichtes Lob auf die Selbstliebe, das entfernt an Gloria Gaynors „I Will Survive“ erinnert.
„Flowers“ zeichnet sich als Vorabsingle zum neuen Album durch eine stimmliche und musikalische Zurückhaltung aus. „I can love me better than you can“, singt sie im wehmütigen Refrain des Slow-to-Middle-Disco-Tracks, der in den letzten sieben Wochen die US-Billboard-Charts Hot 100 anführte. Mit „Endless Summer Vacation“, ihrem achten Studioalbum, tritt sie tatsächlich in ihre „kaiserliche Phase“ ein.
Nach „Plastic Hearts“ (2020) schien es noch, als neige sich die Miley-Saga ihrem Ende entgegen. Auch der nackte „Wrecking Ball“-Ritt auf der Abrissbirne im epochalen Video schien Ewigkeiten her. Ein schrill gewordener Ex-Kinderstar, der im Erwachsenenalter „auserzählt“ ist.
Die Künstlerin selbst schien das ebenfalls so einzuschätzen, wechselte ihr Plattenlabel und veröffentlichte mit „Miley Live“ aus dem Jahr 2022 ein Interim. Eine Verschnaufpause auf der Küstenstraße, die zu neuen Ufern führt. Ähnlich gelagert wie bei ihrer Ortskollegin Lana Del Rey bezeichnet sie ihr neues Opus als „love letter to L.A.“. Ein Dank an die Inspirations-Atmo der Stadt der Engel.
Um dem achten Album eine besondere Spannung und Dramatik zu verleihen, teilt Cyrus das Ganze in zwei Stimmungslevel ein: „AM“ und „PM“, also Tag-Stücke und Nacht-Stücke, als kleine Hörhilfe für das Millionenpublikum.
Cyrus teilte vorab mit: „Als es um die Reihenfolge der „Endless-Summer-Vacation“-Tracks ging, habe ich es in zwei Teile aufgeteilt: ‚AM‘ steht für den Morgen, verbunden mit Energie und einem Strauß an Möglichkeiten. Der Sound eines neuen Tages.“
Und weiter:
„Die Nacht, ‚PM‘ fühlt sich an, als gäbe es eine schlüpfrige, schäbige Atmosphäre. Gleichzeitig Schmutz und Glamour. Abends ist eine großartige Zeit, um sich auszuruhen, um sich zu erholen. Oder es ist die Zeit, um auszugehen und die wilde Seite zu erleben. In L.A. hat die Nacht eine besondere Energie. Man spürt regelrecht, wie Ärger an die Oberfläche steigt; was sehr inspirierend ist.“
Insgesamt betrachtet ist „Endless Summer Vacation“ ein eher nachdenkliches Werk. Es ist nicht voll von beschwingtem Pop und sommerlichen Singalongs. Der Titel ist also ein wenig ironisch gemeint. Cyrus lässt ihre Fans in der Regel im Ungewissen, wohin sie sich stilistisch entwickeln wird, und das ist auch hier nicht anders.
Für die Akustikballade „Thousand Miles“ holt sie sich die Country-Rockerin Brandi Carlile ins Boot. Hier verschmelzen Pop, Americana und Country nahtlos zu einer straff arrangierten und gut vorgetragenen Nummer. Carliles Gesang wird nur für die Harmonien verwendet, aber fügt sich gut in Cyrus‘ Gesang ein. Der Song schließt sogar mit einem Akkordeon- oder Mundharmonika-„Riff“ ab.
Die bluesige Ballade „You“ wiederum ist noch sanfter. Ein sparsames Arrangement aus Tasten und Schlagzeug. „Let’s crash a wedding tonight/ Get drunk by the light/ And I’ll pick a fight to make up on the floor of your room/ But only if it’s with you,“ singt sie über den Hin-und-Her mit einem Lover.
„Handstand“ fungiert als klanglicher Wendepunkt, der das Album in eine weitere Biegung führt. Es beginnt mit Synthesizer-Flächen und einem gesprochenen Intro. Es folgt eine Kombination aus spacigen Loops, elektronischen Klängen und einem Heavy Beat. Eine gelungene Einstimmung auf die beschwingten Synthie-Klänge von „River“. Wiederum mit einem pulsierenden Beat und Pop-Hooks. Es gilt auch hier die „Regel der Zurückhaltung“.
Einer der Höhepunkte des Albums kommt schnell. Und geht schnell, setzt ihren neuen Weg fort: „Muddy Feet“ ist ein Mix mit Sia, die erneut eine Art Cameo-Rolle übernimmt. Ein rauer Stomper mit den klassischen Rock-Tönen von „Plastic Hearts“. „Bin ich auf einer Insel gestrandet/ Oder bin ich im Paradies gelandet?“ fragt Cyrus.
Die Platte endet mit „Wonder Woman“, einer Klavierballade über Widerstandsfähigkeit, Reisefieber und das Überwinden der Höhen und Tiefen des Lebens. Eine schöne und düstere Note zum Abschluss.