Miles Davis
Sketches Of Spain
Wohl kaum ein anderes Werk der modernen Musik ist so sorgsam dokumentiert und ediert wie das von Miles Davis. Im November vor 50 Jahren begannen die Aufnahmen zu „Sketches Of Spain“. Zu diesem Anlass veröffentlicht Columbia nun auf zwei CDs eine Neuedition des Klassikers. John Coltrane und Cannonball Adderley hatten das Miles Davis Sextet gerade verlassen, und Davis machte sich an seine dritte Zusammenarbeit mit dem kanadischen Arrangeur Gil Evans.
Er wollte dort anknüpfen, wo er mit „Flamenco Sketches“ auf „Kind Of Blue“ aufgehört hatte. Die Faszination für die dunkle Melancholie der spanischen Musik teilte er mit Evans, schon auf ihrer ersten Kollaboration, „Miles Ahead“ von 1957, hatten sie ihr in „Maids Of Cadiz“ und „Blues For Pablo“ Ausdruck verliehen.
Inspiration für „Sketches Of Spain“ war schließlich das ursprünglich für Gitarre und Streichorchester geschriebene Werk „Concerto de Aranjuez“ des spanischen Komponisten Joaquin Rodrigo. Evans arrangierte das Adagio dieses Konzertes, das wie geschaffen war für Davis‘ modale Lyrizismen, für Blasorchester und Jazzband und setzte es schließlich mit 18 klassisch ausgebildeten Musiker sowie Bassist Paul Chambers, Jimmy Cobb am Schlagzeug und Elvin Jones als zusätzlichem Perkussionisten im Studio um. Davis, der den Melodien der Komposition an Flügelhorn und Trompete weitgehend treu blieb, machte sich das Stück durch subtiles Ausschmücken zu eigen.
Vier Monate nach den Aufnahmen von „Concerto de Aranjuez (Adagio)“ kamen die Musiker im März 1960 erneut zusammen, um das Album fertigzustellen. Zentrales Stück dieser Sessions war wiederum eine Komposition eines spanischen Komponisten: „Will O‘ The Wisp“, ein Teil aus Manuel de Fallas Ballett „El Amor Brujo“. Zudem steuerte Evans drei eigene, in ähnlichem Stil gehaltene Kompositionen bei. Hier ist vor allem das auf einem andalusischen Volkslied basierende „Solea“ hervorzuheben, zu dem Davis die freieste Improvisation dieser Sessions beisteuerte.
Den Kritikern fiel es seinerzeit schwer, „Sketches Of Spain“ zu kategorisieren. Mit dem damals vorherrschenden treibenden Hard-Bop hatte das Gehörte wenig gemein. War das überhaupt ein Jazz-Album? Es ist jedenfalls unüberhörbar ein Miles-Davis-Album. Eines der schönsten und geheimnisvollsten noch dazu.
Die Neuedition hat insgesamt zwölf Bonusstücke, darunter vier alternative Versionen und die einzige Live-Aufführung von „Concierto de Aranjuez (Adagio)“, die Vorstudie „Maids Of Cadiz“ von „Miles Ahead“ und „Teo“, ein Tribut an den „Sketches Of Spain“-Produzenten Teo Macero, das 1961 auf dem Davis-Album „Someday My Prince Will Come“ erschien. Die originalen Liner-Notes des Albums sind leider nur als pdf-Datei auf der ersten CD enthalten, doch der persönlich gefärbte neue Begleittext des Komponisten und Dirigenten Gunther Schuller gibt viele interessante neue Einblicke.
Schuller, damals als Hornist an der „Metropolitan Opera“ und Intimus der New Yorker Jazz-Szene, konnte selbst nur aufgrund terminlicher Schwierigkeiten nicht an den Aufnahmen zu „Sketches Of Spain“ teilnehmen. Stattdessen sprang sein Kollege Jim Buffington ein. „His gain…my loss.“ (Columbia/Sony)