Marcel Reich-Ranicki/Peter Rühmkorf :: Der Briefwechsel

Sie kamen aus feindlichen Lagern: der konservative, aber grundliberale Kritikerstar und der „rote“ Poeta laureatus, der zeit seines Lebens ein schlechtes Gewissen hatte, für die „FAZ“ schreiben zu „müssen“. Die beiden kannten sich von den Tagungen der Gruppe 47 und aus  der Hamburger Literatenszene und hegten trotz weltanschaulicher Differenzen Sympathie füreinander. Als Reich-Ranicki zur „FAZ“ ging, um den Literaturteil zum Renommierstück auszubauen, köderte er schon bald den um seine Subsistenz besorgten Lyriker mit splendiden Honoraren. Er holte sich einigen Ärger ins Haus. Rühmkorf war als Zeitungsschreiber ebenso begnadet wie untauglich. Ein großer Teil dieses Briefwechsels besteht denn auch aus Klagen des Redakteurs über ausbleibende Artikel, die meist verspätet, oft genug aber auch überhaupt nicht kommen, und Rühmkorfs wortreichen Enschuldigungen und Ausreden. Das könnte langweilen, wenn diese Briefe nicht so großartig wären: Reich-Ranickis sachliche, klare, aber oft vor Ironie triefende Beschwerdebriefe auf der einen Seite, Rühmkorfs mit Witz und expressionistischem Furor heißgemachte Papierfackeln auf der anderen. Kleinere Verstimmungen sind nur das polemische Salz in der Suppe, die beiden harmonieren – solange Rühmkorf doch mal etwas liefert und Reich-Ranicki ihm die Texte abnimmt. Erst als er die Interpretation eines Gedichts von Arno Schmidt zurückschickt – es ist schlicht zu lang für die Frankfurter Anthologie –, wittert der Dichter ideologische Vorbehalte. Dieser Riss kann noch einmal gekittet werden, weist aber schon voraus auf das tiefe Zerwürfnis über zehn Jahre später, als Reich-Ranicki sich über Günter Grass’ „Ein weites Feld“ hermacht und Rühmkorf dem Kollegen beispringt – u. a. mit einem brillanten Pamphlet, das Reich-Ranicki als durchtriebenen Ideologen entlarvt, der immer wieder linke Genossen umgepolt habe. Jetzt ist immerhin fünf Jahre Sendepause. Aber die beiden finden doch wieder zu einem vergnügten Arbeitsverhältnis zurück, als Rühmkorf ihm die Hand reicht. Eine Bedingung hat der Frankfurter egomaniac aber: einen Artikel „über meine Arbeit“, „nicht unbedingt liebevoll, doch freundlich und respektvoll“. Und Rühmkorf schluckt diese Kröte tatsächlich. (Wallstein, 22,90  Euro)

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