Manic Street Preachers
Everything Must Go 20th Anniversary Edition
Politische Statements in überbordenden Hymnen: Die „20th Anniversary Edition“ des Meisterwerks der wütenden Waliser
Die Manics wurden nie stärker geliebt als für ihr viertes Album, dabei standen schon mit der Vorabsingle alle Zeichen auf Konfrontation. „A Design For Life“ spiegelte das stark im britischen Pop verankerte Bedürfnis, Herkunft zu betonen. Selten klang Unterschicht so prächtig: „Libraries gave us power/ Then work came and made us free.“ Während das Orchester anschwillt, singt James Dean Bradfield davon, sich mit einer zerbrochenen Flasche das Gesicht zu zerkratzen.
Klar, die Wut. Bradfield, Nicky Wire und Sean Moore hatten vor den Aufnahmen zu „Everything Must Go“ ihr Aushängeschild verloren: Der Punkgitarrist, Armritzer und Lyriker Richey Edwards verschwand einfach, wurde nie mehr gesehen und 2008 für „vermutlich tot“ erklärt. Als Musiker war Edwards irrelevant, aber den Manic Street Preachers fehlte ohne ihn die Ideologie. Sie wagten den Sprung an die Öffentlichkeit erst wieder, als der Slot als Oasis-Vorband gebucht war: 1996, auf dem Höhepunkt des Britpop. Nur so – und dank des hymnenhaften Titelsongs – lässt sich erklären, dass die Manics zumindest in jenem Jahr in die Bewegung eingemeindet wurden.
Die „20th Anniversary Edition“ enthält auf zwei CDs, zwei DVDs und einer LP die bislang umfassendste Sammlung dieser Zeit. Lohnt sich? Hm. Entscheidender Kaufgrund müsste das bislang einzig unveröffentlichte Material sein, ein Konzert aus Manchester 1997. Und das ist wirklich furios. Die Manics stellen Edwards’ frühere Feuerstürme über missverstandene Revolutionäre („Faster“) dessen nicht zu Ende gebrachten Songskizzen sowie neuem, eigenem Material gegen-über. „Kevin Carter“, jenes Lied über den Fotografen, der sich nach Erhalt des Pulitzerpreises für sein Bild eines sterbenden afrikanischen Kindes umbringt, wird ihr politisches Statement. Moore spielt dazu die Trompete, als bliese er einen Henkersmarsch.
Die Sammlung der Remixe ist leider so bekannt wie die Klangpolitur des Albums selbst. Schlechter aber wird die Platte dadurch nicht. „Elvis Impersonator: Blackpool Pier“ vereint schon im Titel -jene Manics-typische Kombination aus Glam und mitleid-erregender Großmut, wie ihn nur Vorstädter hervorrufen können. Und es sind die B-Seiten, die besten ihrer Karriere, die „Everything Must Go“ in unseren Träumen zum glorreichen Doppelalbum machen: „Hanging On“, „Sepia“, „Horses Under Starlight“ … Songs für Richey, viele davon über eine Flucht des Trios nach Australien, um Abstand zu gewinnen. Der dortige Tourismusverband hatte ja keine Ahnung, fragte das – -zynische – „Australia“ für die Werbung an. Eine Chance für Subversion in Edwards’ Sinne, die die übrig gebliebenen Musiker gern ergriffen.