Bis jetzt hatte Laura Gibson Zeit. Auf ihren bisherigen Veröffentlichungen entwickelte sich die Musik in aller Ruhe und ordneten sich die Lieder keinem Dreiminutenformat unter. Gibson rollte ihre Silben aus, als würde sie deren Klang beim Singen studieren. Zu lang gezogenen Waldhörnern und Streichern entstanden Folk-Zeremonien, die zum Besten gehörten, das uns aus Portland erreichte.

Das letzte Werk, „Beast Of Seasons“ (2009), war eine meisterhafte Anordnung akustischer Instrumente zu Lo-Fi-Ambient-Texturen – Produzent Tucker Martine hatte seine alte Achtspurmaschine herausgeholt und Gibsons schemenhafte Folklore fabelhaft inszeniert. Die Sängerin selbst sang von einem geheimen Ort und beendete ihre Lieder erst, wenn deren Möglichkeiten weitestgehend erkundet waren. Manchmal kam nach vier, fünf Minuten noch ein neuer Teil, als hätte jemand den Anfang des Liedes in Zeitlupe abgespielt! 2010 erschien unter dem Namen Bridge Carols eine Kollaboration mit dem ebenfalls in Portland lebenden Ethan Rose, die noch elegischer, assoziativer und waidwunder war.

„La Grande“ beginnt mit einem Überraschungsmoment. Trommeln! Das erste Lied ist ein galoppierender Western mit ungewohnt vielen Akkorden und fast dramatischer Inszenierung. Gibson teilt uns auf diesem Weg mit: Ich habe jetzt weniger Zeit. Auf „La Grande“ werden die Lieder nicht mehr meditativ erkundet, sondern kompakt arrangiert. Nostalgie sei ja schön, aber man könne sich in ihr verlieren, sagt Gibson und will nun eher die Zukunft im Blick haben. Doch fortschrittlich ist diese Musik nicht mehr oder weniger als bisher – der neu interpretierte alte Jazz-Gesang (der manchmal an Feist und Simone White erinnert) und die Lo-Fi-Field-Recording-Ästhetik waren auch schon auf „Beast Of Seasons“ der letzte Schrei.

Sagen wir also lieber: Laura Gibson musste mal etwas anderes machen. Den Schlaf abschütteln, den Tag beginnen. Auch in ihren Texten will Gibson lieber eine Löwin sein als ein Lamm. Auf das Titelstück folgt „Milk-Heavy, Pollen-Eyed“, das so eindeutig ist, dass man sich die Augen reibt. Laura Gibson, Singer/Songwriter! Das anschließende „Lion/Lamb“ ist ein zarter Bossa nova – lateinamerikanische (Jazz-)Standards spielen in mehreren Songs eine Rolle. Gibson und ihre Band (u. a. Musiker von M. Ward, Decemberists und Calexico) interpretieren diese Musik natürlich gebrochen und abgedunkelt – der museale Sound, die Lautmalerei und die pummeligen Trommeln gehören nach wie vor in dieses Werk. „Skin Warming Skin“ schlägt mit typischen „Uuuhuhuhh“-Gesängen die Brücke zu „Spirited“, dem bewegtesten Lied auf „Beast Of Seasons“. Rückblickend erkennt man, dass die Künstlerin schon dort ihre nächste Musik vorbereitete.

Es ist durchaus ein Verlust, dass Laura Gibson fürs Erste nicht mehr die Flüsterfee und Folk-Seherin ist, doch die Musik auf „La Grande“ hebt sie auf ein höheres Niveau, von dem aus sie von einem größeren Publikum gesehen werden kann. Das wäre doch gut.