Kritik zu „Moon Knight“ – ein höchst unterhaltsames Pulp-Abenteuer
Mit Oscar Isaac, Ethan Hawke, May Calamawy
Die Superheldengeschichte ist ja voll von diesen Dualismen: Milliardär, Reporter oder Museums-Giftshop-Verkäufer bei Tag, stahlharter Rächer, außerirdisches Findelkind oder Avatar einer ägyptischen Gottheit bei Nacht. Nur ist es das eine, sich als Superman oder Batman dieser Persönlichkeitsspaltung bewusst zu sein – etwas ganz anderes, wenn man, wie Oscar Isaacs „Moon Knight“, von diesem Glück zunächst mal wenig ahnt. Doug Moench hat die Figur in den 1970ern tatsächlich als eine Art Marvel-Gegenentwurf zu DCs Fledermaus-Vigilanten erfunden; Szenegrößen wie jüngst Jeff Lemire („Sweet Tooth“) haben die dissoziative Identitätsstörung stärker herausgearbeitet, die in einer multiplen Persönlichkeit und reichlich Material resultiert, an dem sich Oscar Isaac mit viel Spaß an der Sache abarbeiten darf.
Sein mit schwerem britischem Akzent daherkommender Museumsangestellter Steven Grant weiß zunächst nichts von den Kräften, die buchstäblich in ihm schlummern, sondern träumt sich als vermeintlicher Schlafwandler in die irrsten Action-Szenerien. Auf einem dieser sehr real wirkenden Trips in ein alpines Bergdorf wird er mit dem Kultisten Arthur Harrow (Ethan Hawke) und dessen Suche nach dem Grab einer ägyptischen Gottheit konfrontiert. Was bald schmerzlich spürbare Folgen in London zeitigt, wo sich Grants Alter Ego Marc Spector in den Moon Knight verwandelt und heftige Gefechte mit alt-ägyptischen Ungeheuern, wahnsinnigen Sektierern und sich selbst austragen muss. Deren Ziel, wie so oft im Marvel-Universum: Die Erweckung uralter Kräfte und die Unterwerfung der freien Welt. Ihnen gegenüber: Ein mindestens mal doppelter Oscar Isaac, der im weißen Kostüm für eine andere Gottheit zur perfekten Waffe wird.
Andere Avengers oder einen irgendwie gearteten Bezug zum Marvel-Cinematic-Universe (MCU) sucht man – zumindest in den ersten vier Episoden und glücklicherweise – vergeblich. Dafür dürfen sowohl Oscar Isaac als auch Ethan Hawke mit viel darstellerischem Schmackes in ihren schillernden Figuren aufgehen und die Regisseure – neben den Indie-Ikonen Justin Benson und Aaron Moorhead („Synchronic“) vor allem der ägyptische Regisseur Mohamed Diab („Clash“) – an der Etablierung eines Superhelden-Universums arbeiten, das viel mit „Ghostbusters“, „Die Mumie“ und „Indiana Jones“ zu tun hat und herzlich wenig mit „Captain America“ & Co. Im Übrigen auch mit musikalisch stark exotisch gefärbtem nordafrikanischem Einschlag und einer Abzweigung tief hinein ins mentale Kuckucksnest eines „Legion“. MCU-Dogmatiker könnte das nachhaltig (ver-) stören, alle anderen dürfen mit diesem höchst unterhaltsamen Pulp-Abenteuer guten Gewissens den Neu- oder Ersteinstieg wagen. Es lohnt sich! (Disney+)