Zeit, Thomas Harris‘ „Cari Mora“ wieder zu entdecken

Eine Geflüchtete mit unsicherem Aufenthaltsstatus erinnert Amerika an Pflichten gegenüber Schutzsuchenden und der Umwelt – und sie tötet Verbrecher. Vor fünf Jahren erschien „Cari Mora“

44 Jahre nach seinem Debütroman „Black Sunday“, der vom Terror des „Schwarzen September“ und Vergeltung durch die Israelis erzählte, widmet sich Thomas Harris wieder dem politischen Thriller. Dass er ausgerechnet aus einer nach Amerika emigrierten Ex-Soldatin der FARC, der linken Guerilla-Bewegung Kolumbiens, eine Kämpferin für Umwelt und liberale Einwanderungsgesetze macht, ist sein Seitenhieb auf die US-Regierung.

Caridad „Cari“ Mora arbeitet auf einer Seevogelstation und befreit im Müll gefangene Tiere (der von Menschen verursachte Dreck an den Stränden wird einem ihrer Freunde noch zum Verhängnis werden). Mit den in Miami Beach lebenden Kubanern teilt sie Wissen über die Vielfalt des Fallobsts in den Vorgärten, über Ressourcen also, die die Amerikaner in ihren vier Wänden nicht wertschätzen. Harris geht noch weiter, schreibt: Es ist bereits ein Fehler, Bücher über Natur und Gartenbau für unpolitisch zu halten.

„Miami wurde von Menschen errichtet, die oft zu Fuß aus anderen Ländern eingewandert sind“, schreibt er weiter. Die Ironie ist, dass Caris Schutzstatus als Einwanderin und FARC-Deserteurin durch „begründete Furcht“ belegt werden muss, sie jedoch keine Angst vor dem Bösen verspürt. Als Haushälterin in der ehemaligen Miami-Villa Pablo Escobars begegnet sie Gangstern, die einen Schatz im vom Ozean gefluteten Keller heben wollen, eine per Fallen gesicherte Goldtruhe.

Harris‘ Figuren eint kindliche Traumata, die sie als Erwachsene entweder zu Aufrechten gemacht haben oder zu Psychopathen. Hannibal Lecter musste miterleben, wie seine Schwester verspeist wurde; der transsexuelle Mörder Jame Gumb („Das Schweigen der Lämmer“) verzweifelte, weil ihm eine Geschlechtsumwandlung verwehrt blieb; Francis Dolarhydes („Roter Drache“) Großmutter drohte dem Jungen mit Kastration. FBI-Agentin Clarice Starling aber überwand das Geschrei der Tiere auf der Schlachtbank der elterlichen Farm, auch die Kindersoldatin Cari Mora ging gestärkt aus dem Krieg hervor.

Hans-Peter räumt auf!

Nun gerät Mora an Hans-Peter Schneider, einen Killer, den, wie auch Lecter, selbst Psychiater als „Monster“ bezeichnen. Der Deutsche will nicht nur das Gold, er verkauft auch Entführte oder deren Leichen(teile), wie Jame Gumb es plante, an reiche Perverse. Schneider hat einen „Zinkfinger“ und ist aufgrund eines Gendefekts haarlos, was aus ihm natürlich noch kein „Monster“ macht. Seine Lust am Töten aber bleibt im Dunkeln.

Damit ist er der erste Harris-Schurke, der weniger interessant ist als die Heldenfigur. Mit dem Namen ist Nüchternheit beabsichtigt, aber deutschsprachige Leser könnten sich bei dessen Hobby, Tote in Säure aufzulösen, an Helge Schneiders „00 Schneider“-Aktionismus erinnert fühlen, wo Verbrecher ihren Job als Hauswirtschaft verstehen: „‘Hans-Peter räumt auf! Hans-Peter spült die Sorgen fort!‘, lautete sein Motto.“

Nicht alles an der Erzählung also überzeugt. Es gibt zu viele Nebenfiguren, vor allem auf Seite der Schurken. Schneiders Gehilfen tauchen ebenso schnell wieder auf, wie sie verschwinden bzw. sterben, auch die Truppe rund um Cari Moras vermeintlichem Helfer, Clan-Chef Don Ernesto, ist zu groß bestückt, um in Erinnerung zu bleiben.

Die Escobar-Villa dient als Ablageplatz für Filmrequisiten, aber die Puppen rund um die Königin aus „Aliens“ sind als Schauer-Attrappen zwar von atmosphärischem, aber ohne erzählerischen Nutzen. Dazu kommt ein etwas altväterlicher Erzählton Harris‘, wann immer er Cari Mora in ihrem Alltag schildert. Sie lackiert sich – typisch Latina! – die Nägel im Bus und kontrolliert ihr Aussehen im Handspiegel; und sie sehnt sich auch, schreibt Harris, nach einer starken männlichen Schulter. Darin ist sie Clarice Starling nicht unähnlich.

Goldschatz, MacGuffin

Der Goldschatz immerhin ist das, was im Film „MacGuffin“ genannt werden würde: ein Sehnsuchtsobjekt ohne besonderen Nutzen, das aber die Handlung vorantreiben und die Charaktere miteinander verknüpfen soll. Harris hat Spaß daran, Schneiders Truppe und die Cari Moras sich wie Panzerknacker an den Sicherheitsmechanismen der Truhe – das Ticken wird immer lauter! – abarbeiten zu lassen.

Doch liegen die Stärken seines Romans diesmal nicht in der Zuspitzung der Gewalt, Schatzsuche plus torture porn, sondern im Stillen. Cari Mora ist unfreiwillig Heldin, sie möchte nicht ins Visier der Einwanderungsbehörde geraten. Mit dem Gold würde sie ein bruchreifes Haus neu errichten, sich also eine amerikanische Existenz errichten.

13 Jahre liegt sein vorangegangener Roman „Hannibal Rising“ zurück, Thomas Harris ist 78. Vielleicht kommt kein weiteres Werk mehr. Viele hatten zuvor auf einen weiteren „Lecter“ gehofft. Aber sollen doch der Kannibale und seine Geliebte Starling weiter inkognito die Oper in Buenos Aires besuchen, wie am Ende von „Hannibal“.

Dass die Ära Cari Moras anbricht, wirkt wie ein mutiger Neuanfang ihres Schöpfers. Harris ist gelassen geblieben, ein komplettes Kapitel lang widmet er sich einem unwesentlichen Krokodil, das auf den Golfplätzen Miamis auf Beutejagd nach Chihuahuas geht. Und das auch noch zum Roman-Finale. Er kann es sich leisten.

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