Phil Collins
No Jacket Required
Warner
Wen interessierte es schon, wie gut er Schlagzeug spielen und singen konnte? Die Leute hassen ihn, weil er einen Hit nach dem anderen landete
Das 1985 veröffentlichte Album „No Jacket Required“ bewegt die Menschen bis heute. Hier nahm auch der weltweite Hass auf Phil Collins seinen Anfang. Für Collins‘ Gegner, die es vor 1985 vielleicht gar nicht gab, wurde die Platte zu einer der nützlichsten der Musikgeschichte: In dieses Werk projizieren viele Hörer die vermeintlichen Fehltritte in Collins‘ Karriere hinein, selbst die Songs und Bilder, die erst nach Erscheinen des Werks entstanden. Phil, der kleine Kriminelle aus „Miami Vice“, der „augenzwinkernde“ Blumenstraußträger aus dem Film „Buster“, der Leadsänger, der nach und nach Haare verliert, den Bausparvertrag im Allgemeinen, den Genesis-Golf, den Komiker mit dem Zebrastreifen-Gang aus „I Can’t Dance“, den Concorde-Passagier, der kein Festival verpassen wollte, und natürlich die Lieder aus „No Jacket Required“ selbst, die Mitte der Achtziger in Sonnenstudios und Zahnarzt-Wartezimmern liefen. „One More Night“ und „Take Me Home“.
Wirkliche Schwachpunkte hat das Album nur zwei, dabei handelt es sich ausgerechnet um zwei US-Nummer-Eins-Hits. Die Fanfare aus „Sussudio“, hier haben Kritiker recht, ähnelt dem 1982 veröffentlichten Prince-Song „1999“ doch sehr. Und wer sich anstrengt, kann in „One More Night“ eine Verwandtschaft zu Michael Jacksons „Human Nature“ ausmachen. Die übrigen acht Stücke sind gut, wenn auch nicht auffällig gut; einzig das zerbrechlich klingende, beatleeske „We Said Hello Goodbye“, der CD-Bonustrack, erinnerte an die persönliche Krise, Collins‘ Scheidung von seiner Ehefrau, die er auf „Face Value“ (1981) und „Hello, I Must Be Going!“ (1982) verarbeitete.
More Drama, Baby! Das Risiko fehlt dann leider doch. Die fast schon manischen Strophenmelodien von „Don’t Lose My Number“ oder „Inside Out“ münden in versöhnlichen Refrains, und das unbeherrscht gesungene „Only You Know And I Know“ führt mit seiner Zeile „I open up, give you everything / Then you say, O.K. what else?“ führt ins Nichts.
Phenix Horns nur im Hintergrund
Das 1986 mit dem Grammy als „Album Of The Year“ ausgezeichnete Werk ging in fast jedem Land auf die Eins, und der „Musikexpress“ erfand das Wortspiel „Viel Collins“. Tatsächlich gab es wohl keinen Musiker, der in den Achtzigern so viele Top-5-Hits in den britischen oder amerikanischen Charts landete wie er, ob solo oder mit Genesis. Von 1981 bis 1991 hatte der Mann in jedem Jahr einen Hit, angefangen von „In The Air Tonight“ (1981) über „That’s All“ (1983), von „Invisible Touch“ (1986) und „Another Day in Paradise“ (1989) bis „I Can’t Dance“ von 1991. Eine lange Strecke, die sich in der Popmusik selten ein zweites Mal finden sollte. Michael Jackson veröffentlichte nur zwei Alben in den Achtzigern, Prince wurde von 1984 bis 1988 zwar immer besser, aber auch immer erfolgloser.
Aber das waren alles echte Popstars, nicht solche Jedermann-Figuren wie Phil Collins. Wen interessierte es schon, wie gut der Schlagzeug spielen und singen konnte? Die Leute hassen ihn, weil er während seiner größten Erfolge weiterhin so ausgesehen hat wie Du und ich. Wieso also schafft der dann so eine Karriere, und alle anderen nicht?
Dass Collins schon 1981 in „I Missed Again“ sich selbst auf die Schippe nahm, weil seine Ehefrau ihn ausgerechnet mit einem Elektriker betrog – selbst der hatte wohl mehr Star-Appeal – treibt manche heute noch immer auf die Palme. Als vor einigen Jahren auch noch bekannt wurde, dass Collins im Alter von nur 18 Jahren auf George Harrisons „All Things Must Pass“ Percussions spielte, gingen bei den Leuten die Lichter endgültig aus.
Collins ist sich der Abneigung stets bewusst gewesen, er kann darüber aber keine Scherze mehr machen. Nach dem Abflauen seiner Karriere in den Mitt-Neunzigern litt er an Depressionen, heute tritt er aus Krankheitsgründen nur noch unregelmäßig auf. Collins wird nie wieder trommeln. Leider.
Eigentlich hatte Phil Collins in seiner Karriere nur einen einzigen Fehler gemacht: Luft-Trompete oder Luftsaxofon zu spielen, wie im Video zu „I Missed Again“, das ist wirklich nicht lustig. Genauso wenig lustig wie plötzlich tanzende Nonnen oder greise Großeltern, die die Pommesgabel machen und Metal-Songs singen.