Ari Aster :: Midsommar – Director’s Cut

Der Horror ist zurück im Kino – schuld daran ist nicht zuletzt US-Regisseur Ari Aster, der im Schrecken eine politische Botschaft versteckt

Die Rezension enthält Spoiler.

Diese Schweden! Sie springen von Klippen in den Tod, melden sich freudig zur Verbrennung auf dem Scheiterhaufen, und sie schlagen sich die Köpfe mit einer Art überdimensionalen Thor-Hammer ein – heidnische Rituale, die alle 90 Jahre zur Sommersonnenwende begangen werden. Diesmal empfängt die Kommune in der weiten Ebene der Hårga jedoch vier Amerikaner, die für ihre Doktorarbeiten Ahnenbräuche erforschen wollen. Die Studenten werden natürlich, mehr oder weniger freiwillig, in die Zeremonien ihrer Gastgeber eingebunden.

Podcast Freiwillige Filmkontrolle: Wie gut ist „Midsommar“?

 

„Midsommar“ heißt der neue Film von Ari Aster, seinem zweiten nach dem gefeierten „Hereditary“ aus dem vergangenen Jahr. Der New Yorker Regisseur führt die Renaissance jenes Horror-Kinos mit an, in dem politische Allegorien klug dargestellt werden. Jordan Peeles „Get Out“ behandelte Rassismus in den USA, Robert Eggers‘ „The Witch“ den religiösen Wahn ländlicher Familien. Und in seinem Kino-Debüt „Hereditary“ erzählte Aster von einer dysfunktionalen Familie, die sich noch so sehr auf Therapie oder Selbsthilfegruppen stützen kann – wenn der Teufel persönlich vorbeischaut, geht der Patriarch, ausgerechnet ein Psychiater, eben in Flammen auf.

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Asters zweiter, schwarzhumoriger Film widmet sich dem weltweiten Erstarken nationalistischer Kräfte. Die schwedischen Heiden betrachten die Amerikaner als Invasoren, die ihre Traditionen missachten, sich in ihr Leben nicht einfügen wollen. „Geschichte wiederholt sich“, sagt der 33-jährige im Gespräch. „Aber nicht nur in Schweden erfahren rechte Parteien Aufwind. Auch in Europa und natürlich in den USA der letzten drei Jahre, seit dort ein neuer Präsident an der Macht ist.“

In „Midsommar“ machen die Dörfler ihren zukünftigen Opfern das Landleben erstmal schmackhaft. „Du bist doch Amerikaner, drängele Dich einfach rein!“, rät der Schwede Pelle (Vilhelm Blomgren) seinem Freund Christian (Jack Reynor), der noch zögert, an den Zeremonien teilzunehmen, zu trinken und zu tanzen. „Midsommar“ lässt sich auch als Kommentar zum Kultur-Relativismus deuten: Wer die von Mal zu Mal eskalierende Brutalität der Bräuche nicht erträgt, ist eben kein toleranter Tourist. Aster stellt die Schweden als unergründlich dar, und er hat entschieden, die Gesänge der weißgewandeten Irren nicht zu übersetzen. „Ich hoffe wirklich“, sagt er, „dass die Leute meinen Film auch lustig finden. Falls ich eine Botschaft transportieren konnte, freut mich das. Polemik aber liegt mir fern.“ Aster kündigt an, dass der fürs Heimkino erscheinende „Director’s Cut“, der mit 171 Minuten die Leinwandfassung um 24 Minuten übertrifft, die politischen Bezüge noch deutlicher herausstellen wird.

Schneewittchen und Aschenputtel

Ari Aster sagt jedoch auch, dass er „Midsommar“ vor allem als Märchen versteht. Tatsächlich ähnelt die Hauptfigur Dani (Florence Pugh) Fantasie-Figuren, die zu Waisen wurden, wie Schneewittchen oder Aschenputtel, und ihr neues Zuhause in schwierigen Familien finden. Danis Schwester beging Suizid und brachte zuvor ihre Eltern um. Die Reise nach Schweden, gemeinsam mit ihrem Partner Christian und dessen Freunden, soll der jungen, in die Depression gerutschten Frau positive Gedanken verschaffen.

Aster hat „Midsommar“ nach dem Ende einer eigenen Liebesbeziehung geschrieben. Vielleicht lässt sich die Figur der Dani in einen persönlichen Kontext setzen: „Liebe hängt oft mit Abhängigkeiten zusammen. Hier ging es mir um die Darstellung von gegenseitiger Abhängigkeit, die selbst gesunde Beziehungen prägen.“ Dani hängt an Christian, der sich von ihr immer mehr entfremdet. Als die Hårga-Kommune sie zur Maikönigin krönt, kehren sich die Machtverhältnisse um. Damit bringt sie frischen Wind in die jahrhundertealte Gemeinde, ahnt jedoch nicht, dass ihre Gastgeber sie für ihre Rituale missbrauchen – Dani wechselt von einer Co-Abhängigkeit also in die andere. Als sie ihren Lebensgefährten beim Sex mit einer anderen ertappt, schreit sie, und die sie tröstenden Gemeindefrauen schreien im selben Ton mit, als Chor – es ist das Sinnbild einer Echo Chamber des Internets, in dem ausschließlich das eigene Weltbild bestätigt wird, man sich abgrenzt gegenüber einer zweiten Meinung. Auch so entsteht Co-Abhängigkeit.

Es bleibt unklar, ob die Kommune in Kontakt zu einem Gott steht, und das führt zur vielleicht größten Pointe des Films. Einem der Heiden, der sich zur Selbstverbrennung meldet, steht die Erkenntnis ins Gesicht geschrieben, dass der Glaube doch keine Berge versetzen kann, dann, als der Schmerz einsetzt – obwohl ihm „magisches Pulver“ verabreicht wurde, das die Qualen abwenden sollte. Diese Gemeinschaft lebt vom Budenzauber.

Wer das Allegorische im neuen Horror-Kino nicht suchen möchte, der kann sich in „Midsommar“ stattdessen am Spiel mit simplen Genre-Erwartungen erfreuen. Während eines bösen Drogen-Trips rennt Dani in einen dunklen Wald. In unzähligen Streifen werden durch den Wald rennende weibliche Opfer von Mördern gejagt – hier nicht. In „Midsommar“ finden Grausamkeiten fast ausschließlich bei Tageslicht und auf freien Flächen statt.

Und auch ein anderes, beliebtes Klischee knüpft Aster sich vor. „In vielen Horror-Filmen werden Frauen ausgezogen und vergewaltigt. Hier kehrt sich das Machtverhältnis um.“ Danis Freund Christian wird unter Drogen gesetzt, und die Dorfälteste drückt ihm von hinten energisch auf den Po, damit er eine willige Jungfrau penetriert.

Danach rennt Christian ertappt, nackt und panisch durch die Gegend. Im Tageslicht bleibt kein Geheimnis verborgen.

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