Kritik: „Knock at the Cabin“ – So schlecht, da hilft auch keine Triage mehr
„Knock at the Cabin“ ist Shyamalans zweiter miserabler Film in Folge. Was will er uns bloß mitteilen?
Hinweis: Die Rezension enthält fundamentale Spoiler.
Die Filme M. Night Shyamalans lassen sich einteilen in message movies und character movies. Die message movies sind die weniger gelungenen. Zu ihnen zählen Lehrbeiträge über Anti-Psychiatrie („Split“), Profitstreben der Genforschung („Old“) und Tribalismus („After Earth“). Die Ausrufezeichen darin sind derart dick aufgetragen, dass Charakterentwicklungen vernachlässigt werden.
Die character movies wiederum sind ausgezeichnet. Sie behandeln die Überwindbarkeit körperlicher Krankheiten („Unbreakable“, „Glass“), Trauerbewältigung („The Lady in the Water“) oder die Arbeit an dysfunktionalen Familienbeziehungen („The Sixth Sense“).
„Knock at the Cabin“ geht Shyamalan voll auf message
Ein Werk wie das schlimm unterschätzte „The Happening“ steht genau zwischen message und character: Die Natur rächt sich am Menschen, aber es ist die gegenseitige Liebe zweier Menschen (und die Entballung von Zivilisationen, die Deindustrialisierung), die Mutter Natur auch wieder besänftigt.
In seinem neuen Film „Knock at the Cabin“ geht Shyamalan voll auf message. So sehr auf message, dass man gar nicht mehr weiß, wie man der message entkommen soll – einer message, die man gar nicht versteht.
Auf Twitter, Reddit oder den „Explained“-Threads von Fanseiten wird sicher heftig diskutiert werden, welche Gesellschaftsfantasie oder Dystopie der Regisseur mit diesem Durcheinander vermitteln will.
Beispiel „Triage“: Mal ehrlich, vor Corona hat niemand, abgesehen von Berufstätigen in der Notfallmedizin, dieses Wort benutzt. In „Knock at the Cabin“ wird es als Druckmittel verbalisiert. Und sofort denkt man an Corona – man soll es wohl auch. Eine Familie (zwei schwule Väter, eine Adoptivtochter) wird vor eine Entscheidung gestellt.
Einer von den dreien muss aus freien Stücken sterben, oder die Welt geht unter, mit sieben Milliarden Toten, abgesehen von der dreiköpfigen Familie, die bis an ihr Lebensende über eine in die Steinzeit zurückversetzte Erde wandeln müsste.
Was will Shyamalan uns mit der Triage sagen – dass wir freiwillige Opfer bringen müssen, damit andere überleben können? Mal abgesehen davon, dass der Begriff „Triage“ auch noch falsch benutzt wird. Die Entscheidung über Leben und Tod trifft bei einer Triage ja nicht der Betroffene selbst, das erst macht es so schlimm.
Die unheilvolle Botschaft einer notwendigen Hinrichtung bzw. eines Suizids überbringen vier Menschen, die in die Hütte von Eric (Jonathan Groff), Andrew (Ben Aldridge) und der kleinen Wen (Kristen Cui) einbrechen.
Natürlich hält die Familie die Invasoren um Leonard (Dave Bautista) für Wahnsinnige, Anhänger von Verschwörungserzählungen, die sich in einem Online-Forum gefunden haben. Eric schreit sie an: „Ihr habt euch in EINEM ONLINE-FORUM kennengelernt?!“ Als würde das jede schräge Botschaft erklären.
Das Klima rächt sich am Menschen
Die Pointe besteht darin, dass Shyamalan mit seinem Film genau diesen Schwurblern, die mit ihren Visionen von biblischen Plagen vermeintlich oktroyierte Gewalt vollstrecken, Absolution erteilt.
Als die Gefangengenommen verständlicherweise mit Ablehnung auf die (Selbst-)Mordpläne reagieren, setzen – in einer Art Countdown des Schreckens – erste apokalyptische Unglücke ein. Das Klima rächt sich am Menschen, mit Tsunamis (aktuelles Thema). Eskalationsstufe zwei: tödliche, vor allem für Kinder tödliche Viren (aktuelles Thema).
Und schließlich: Flugzeuge fallen vom Himmel (zwei aktuelle Themen – Terroristen sowie das Versagen automatisierter Transporttechnik). Die vom Himmel fallenden Flugzeuge immerhin sehen beängstigend aus. Sie sind nicht im Sturzflug zu sehen, und ihre Triebwerke kreischen nicht. Die Airliner fallen lautlos, in der Senkrechten, wie ohnmächtige Menschen. Kameramann Jarin Blaschke gelingen hier beeindruckende Bilder, dabei hatte Shyamalan ihn wahrscheinlich wegen seiner klaustrophobischen Einstellungen in Robert Eggers‘ „The Lighthouse“ engagiert; allein, die Hüttenaufnahmen in der „Cabin“ wirken seltsam weitläufig, distanziert.
Unter den bewaffneten Missionaren, die in die Hütte einbrechen und ihre Geiseln ins Gebet nehmen, befindet sich mit Redmond (Rupert Grint, der, wie in Shyamalans TV-Serie „Servant“, durch übertrieben cholerisches Gehabe erneut ein trauriges Indiz dafür liefert, dass er sich wohl ewig an Ron Weasley abarbeiten wird) ein homophober Redneck, den der gefesselte Eric wiedererkennt – er wurde in einer Bar einst von ihm angegriffen.
Deshalb wittert Eric im Quartett der Invasoren ein abgekartetes Spiel, er vermutet als deren Motiv Menschenhass anstelle von Weltrettungsfantasien – und Shyamalan insinuiert für einen nicht unwichtigen Moment, dass Paranoia das Leben schwuler Männer bestimmt. Dass der Regisseur mit diesen Unsicherheiten spielt, ist ein eher unsensibler Zug.
„Reiter der Apokalypse“
Zumal Shyamalans eigene Vergleiche von „Knock at the Cabin“ mit seinem Film „Signs“ von 2002 nicht wirklich passen. In beiden geht es um die Wichtigkeit, durch das Festhalten am Glauben unüberwindlich scheinende Probleme zu lösen. A
ber weder Andrew noch Eric oder Wen sind Gläubige. Andrew erkennt in den vier Einbrechern zwar die „Reiter der Apokalypse“, ist aber im Gegensatz zum Pastor Graham in „Signs“ kein bekennender Christ.
Sein Opfer für die Menschheit hängt mit einer plötzlichen, nicht belastbaren Überzeugung zusammen, entstanden durch die Wahrnehmung einer göttlichen Erscheinung außerhalb unseres Sichtbilds (oder wir Zuschauer werden Google Bilder durchsuchen müssen oder, sobald der Streifen als Stream verfügbar ist, die Pausentaste drücken, vielleicht finden wir dann was).
Der Lebenshintergrund der drei Familienmitglieder – die in Rückblenden geschilderte Ablehnung der schwulen Partnerschaft durch Schwiegereltern, die anscheinend auch mit Tricks ermöglichte Adoption eines Babys, die Lippennarbe des Mädchens – stehen in keinerlei Zusammenhang mit der Dynamik der Erzählung. Und sobald biografische Tiefe fehlt, sind spätere, mutige Entscheidungen der Protagonisten nicht nachvollziehbar.
Hier fehlt die Heldenreise, die aus Andrew den jesusgleichen Erlöser macht, der für unsere Sünden stirbt. Es fehlt der Weg von A nach B. Undurchdacht ist auch der Vorspann mit seiner Präsentation wirrer handschriftlicher Notizen und Berechnungen, die keiner der Hütteneindringlinge angefertigt haben dürfte. Verschwörungserzähler nehmen heutzutage keinen Stift mehr in die Hand, sie rülpsen über Tastaturen, so laut, wie es nur geht, ins Netz.
Shyamalan möchte etwas mitteilen über den „Zustand der Welt“: über die Notwendigkeit der Quellenüberprüfung (das TV-Programm zeigt nur seriöse Sender, die von der Apokalypse künden, BBC, CNN) sowie das wichtige Vertrauen in das eigene Urteil in einer Gesellschaft des Meinungs-Overloads.
Der dritte Akt ist nicht ganz so miserabel wie der „Love Island“-artige Schluss von „Old“
Wenn man am Ende jedoch keinem Beleg, sondern nur seinem Gefühl folgt, wie Andrew, ergibt die Überzeugungstat keinen Sinn. Wieder mal hat Shyamalan eines seiner Drehbücher (nach einer Literaturvorlage von Paul G. Tremblay) mit zu vielen, einander widerstrebenden Ideen vollgestopft.
Der dritte Akt ist nicht ganz so miserabel wie der „Love Island“-artige Schluss von „Old“, aber die nicht mehr zu übersehende, zwanghaft zu einem positiven Filmende verpflichtende Sentimentalität des 53-Jährigen, einem ehemaligen Meister des Horrors, ein Vorbild für Ari Aster und Robert Eggers, ist bedenklich.
„Knock at the Cabin“ ist derart konfus, dass die Geschichte zum Glück keinen Shyamalan-Twist beinhaltet, der die Verwirrung noch größer gemacht hätte.
Shyamalan ist ein Comeback-Mann, das hat er schonmal bewiesen
Dafür hat Shyamalan nach „Old“ seinen zweiten schlechten Film in Folge abgeliefert, was umso bedauerlicher ist, da er in den Nuller- und Zehnerjahren vor allem nur dann schlechte Filme drehte, wenn er hohes Budget („Avatar – the last Airbender“) oder Star Power (Will Smith, „After Earth“) zur Verfügung hatte. „Knock at the Cabin“ ist ein schmalerer Film. Doch Shyamalan beherrscht ihn nicht.
Wird es langsam eng für ihn? In den letzten zehn Jahren brachte er mit „Glass“ nur ein einziges gutes Werk ins Kino; dem stehen ein annehmbares („The Visit“) sowie drei Ausfälle („After Earth“, „Old“ und nun „Knock at the Cabin“) gegenüber, dafür aber auch ein solider Final-Girl-Thriller, der viel Geld einnahm: „Split“.
Shyamalan ist ein Comeback-Mann, das hat er schonmal bewiesen. Wenn „Cabin“ verarbeitet worden ist, wird er womöglich sein zweites Comeback wagen müssen.