Todd Phillips :: Joker
Gebt Joaquin Phoenix endlich den Oscar, dann haben wir unsere Ruhe. War sonst noch was?
Die Rezension enthält Spoiler.
Freiwillige Filmkontrolle – das Podcast-Gespräch über „Joker“:
Eine ärztliche Diagnose hat der Joker durchaus schon mal erhalten. Aber nicht dieser, sondern ein anderer Joker. Heath Ledgers Figur in „The Dark Knight“ von 2008 attestierte man paranoide Schizophrenie. Sicher ist es ungehörig, eine Krankheit als Ursache für kriminelles Tun zu instrumentalisieren. Aber bei Ledgers Joker wurde zumindest versucht, Bösartigkeit pathologisch zu erklären. Das unterschied ihn von Jack Nicholsons eindimensionalem Clown („Batman“, 1989), dessen Skrupellosigkeit eher an Schabernack erinnerte, keine Genese hatte. Eine Biografie erhielten beide Übeltäter nicht. Vielleicht sollten für Comic-Figuren Patientenmappen gar nicht erst angelegt werden.
Aber warum genau ist Joaquin Phoenix‘ „Joker“ wie ein Pulverfass, das irgendwann hochgeht? Es fehlt ein Krankheitsbild, gleichzeitig wird alles aufs Krankheitsbild geschoben. Er kann nichts für sein Leiden, aber wir wissen nicht, warum. Bei ihm wird von Missbrauch als Kind geredet, Polizeifotos werden herumgereicht, doch das erscheint alles ein wenig dünn.
Todd Phillips‘ Werk liefert, bei all dem Gebrüll, dem Blut, dem hysterischen Lachen, keine echten Antworten. Und Phoenix hat schon genug mit sich selbst zu tun gehabt. 23 Kilo abgenommen, und, wie er in Interviews zu Protokoll gab, drei verschiedene Joker-Lachen geübt. Dazu kommen im Film fünf Nervenzusammenbrüche unterschiedlicher Intensität, sieben verschiedene Medikamente und sieben Morde. Beeindruckende Zahlen, wie die Darstellung einer Eskalation. In Wirklichkeit aber eine Nummern-Revue, die nach dem „Ich werd’s euch irgendwann schon zeigen, und zwar allen“-Rachemuster funktioniert, und bei dem der Joker natürlich irgendwann nicht mehr zwischen Freund und Feind unterscheiden kann. Ein wütender Mann sitzt einer wehrlosen Frau im Krankenbett gegenüber. Wie bringt er sie um? Erstickt sie mit dem Kissen, wie sonst.
Dabei funktioniert zumindest die Kritik am Gesundheitssystem. Eine Sozialarbeiterin arbeitet sich am Joker, der Patient in einer psychiatrischen Klinik war, eigentlich Arthur Fleck heißt und bei seiner Mutter Penny (Frances Conroy) wohnt, erfolglos ab. Die staatliche Stelle und damit die Gespräche werden gestrichen, es sind keine öffentlichen Mittel mehr vorhanden. „Und von wem bekomme ich jetzt meine Tabletten?“ fragt Fleck. Der „Dass so einer frei herumlaufen darf?“-Gedanke ist unfair, aber er poppt auf, weil unklar ist, wie er so werden konnte.
Seine Mutter lässt sich nackt von ihm baden, es bedient seinen Ödipus-Komplex. Einen Vater, den es nicht gibt, versucht Arthur verzweifelt zu finden, einmal in einer Fernsehfigur, dann in einem Milliardär. Wann immer es draußen Ärger zu geben droht, verteilt er Plastikkarten, auf denen seine Erkrankung erklärt wird und dass er nichts für seine unvermittelten Lachanfälle kann.
Der Joker beklagt den Mangel an Empathie
Der Mangel an Empathie in einer immer roher werdenden Gesellschaft – Gotham City ist dem New York der frühen 1980er nachempfunden, als die Stadt ein Höchstmaß an Gewaltverbrechen registrierte – ist ein zentrales Motiv. Fleck ist ein erfolgloser Straßenclown und erbärmlicher Stand-Up-Comedian, aber er weiß, mit welcher Masche er Erfolg haben könnte, nämlich sein Innerstes nach Außen zu kehren. „Geisteskrankheit als Witz“, schreibt er in sein Tagebuch, das gleichzeitig Witzebuch ist. Dem Talkshow-Moderator Murray Franklin (Robert De Niro) teilt er mit: „Ich bin nicht politisch.“ Dann setzt er zu einer Rede an, zu der es nach knapp zwei Stunden Filmlaufzeit natürlich kommen musste. Der Schurke erklärt seine Welt, weil er sie endlich in Worte fassen kann.
Ambitionierter wäre ein offenes Ende gewesen: Fleck wird in den Saal gebeten, er tanzt hinter dem Vorhang hervor – und Abspann. Was er mit seiner Pistole anstellt, also aus ihm selbst wird, bleibt der Vorstellung überlassen (Spoiler: In der realen, nicht dramatisierten Spielfilm-Welt wäre Fleck nach maximal zwei Minuten aus dem TV-Studio heraus festgenommen und die Live-Übertragung abgebrochen worden. Bis zum wirklichen Ende von „Joker“ kommen dann noch drei weitere Szenen, die jeweils als Schluss funktioniert hätten. Hier gibt es einen Enden-Marathon wie zuletzt bei „Der Herr der Ringe: Die Rückkehr des Königs“, inklusive eines wirklich lächerlichen Benny-Hill-Endes).
Fleck sagt, er sei nicht politisch, und damit hat er Recht. Umso mehr Getöse gab in den sozialen Netzwerken im Vorfeld des Films, bereits nach dem ersten eineinhalb-Minuten-Trailer. Ein Amokläufer werde darin verherrlicht. Joker sei der „wütende kleine weiße Mann“, der seiner Wut freien Lauf lässt. Den Linken war er zu rechts, den Rechten zu links. Hat Arthur Fleck sein Herz am „rechten“ Fleck? Regisseur Phillips hat in die Debatte eingegriffen, wenig souverän, indem er selbst mit „rechts“ und „links“ hantierte und Stimmen gegen sein Werk als politische Agenda „der extremen Linken“ kritisierte. In Wirklichkeit aber geht es nicht um links gegen rechts, sondern um die Revolte der Armen gegen die Reichen. Ein Thema, dass sowohl die Linke, als auch die Rechte für sich beansprucht.
Freiwillige Filmkontrolle – das Podcast-Gespräch über „Joker“:
Antipathien sind dennoch klar zugeordnet – die da oben sind verkommen. Thomas Wayne (Brett Cullen), der Vater des späteren Batmans Bruce Wayne, ist ein ekelhafter Schnösel, den die Einwohner Gothams als Bürgermeisterkandidaten nicht nur ablehnen, weil er Milliardär ist, sondern auch, weil er Arbeitslose als Clowns tituliert, was ihn nicht nur in den Augen Flecks unsensibel erscheinen lässt. Butler Alfred (Douglas Hodge) ist Waynes undurchsichtiger Adjutant. „Joker“ bietet damit eine erfrischende Neuausrichtung dieser traditionell gutmütigen Charaktere. Im Kanon gilt Thomas Wayne als vorausschauender Wohltäter, der für seinen Sohn auch mal zum Action-Helden wird und sich in eine Höhle abseilt, um ihn zu retten. Und Alfred erscheint darin als Ratgeber und Philanthrop.
Arthur Fleck ist nicht politisch
Erstmals zum Mörder wird Fleck aus Notwehr, und die Verantwortung dafür wird ihm abgenommen, weil seine Krankheit ihn beherrscht. Drei reiche Rowdys prügeln in der U-Bahn auf ihn ein, nachdem er wieder anfängt wie von Sinnen zu lachen. Toxisch maskulin nennt man solche Wall-Street-Typen, und sie sollen an den jungen Donald Trump erinnern: Belästigen im Waggon zuerst eine Frau, dann stürzen sie sich betrunken auf den Clown, dessen absurdes Gelächter ihnen wie eine Behinderung vorkommt. Zuvor war Fleck der bedrohten Frau nicht zur Seite gesprungen. Er, der mangelnde Gerechtigkeit und fehlende Empathie in Gotham beklagt, ist völlig im Griff seiner Erkrankung. Er handelt gar nicht für andere, schon gar nicht politisch.
Die größten Erfolge Todd Phillips‘ sind „Hangover“, „Hangover 2“ und „Hangover 3“, nach dieser Klamauk-Trilogie war es nicht naheliegend, viel Vertrauen in sein „Joker“-Projekt zu stecken. Visionär ist dieses Werk nicht, aber als Reminiszenz an die New-York-Filme Scorseses angemessen. Vielleicht ist es kein Zufall, dass die bedrückendste Szene, die Gewalt-Eskalation mit den Rich Kids im Untergrund, wie eine pervertierte Abwandlung von „Hangover“ erscheint: Auch darin geht alles schief, weil ein Trio von Männern sich zu viel zutraut.
Ist Joaquin Phoenix der beste Joker? Warum nicht. Der 45-jährige gilt als bester Darsteller seiner Generation. Sicher war bei diesem Engagement auch Eitelkeit und Wettbewerb im Spiel, wurde bislang doch Heath Ledgers Performance als die gelungenste Verkörperung einer Comic-Figur bezeichnet. Jack Nicholson spielte den Mann noch wie einen Zirkusclown mit Spritzblume im Revers, was aber auch damit zu tun hatte, dass im „Batman“-Jahr 1989 Comic-Figuren noch Comic-Figuren zu sein hatten.
Auch Ledger traute sich wenig Menschsein zu, präsentierte einen Blumenstrauß von Manierismen aus dem Best of des Schurken-Kino. Sein Joker-Schmatzen war enervierend, sein Lachen wenig originär, und außerdem wurde aus seiner Darstellung des taktisch klugen Psychopathen nicht klar, warum er sich so kostümierte, als sei er ein Hofnarr – an den nach oben verlaufenden Mundwinkelnarben allein konnte es nicht liegen. Zumindest hatte er, als ein Terrorist der Post-Nine-Eleven-Ära, eine sehr breit angelegte Agenda, während der Trump-Joker Phoenix eher einem Incel-Wüterich ähnelt. Wie schlichte Provokation von Regisseur Phillips wirkt es da, dass sein Joker ausgerechnet zu den Klängen von „Rock and Roll“ eine Treppe herunterstolziert – dessen Interpret Gary Glitter ist ein verurteilter Sexualstraftäter, dessen Musik zu Recht kaum noch öffentlich gespielt wird. Und der Film lässt das Schicksal der Nachbarstochter Flecks, Gigi (Rocco Luna), im Unklaren.
Der letzte in der Joker-Reihe in Erscheinung getretene Schauspieler, Jared Leto als eine Art Pimkie-Punk für Teenager („Suicide Squad“, 2016), wird sich nach Phoenix‘ alles niederwalzender Psycho-Show sicher nicht mehr für einen weiteren Superhelden-Film zur Verfügung stellen. Er könnte nur verlieren.
In keinem seiner vorangegangenen Filme wurde Phoenix derart viel Raum zugestanden, die Möglichkeit, alles zu zeigen. Nicht mal in „The Master“. Der in der „Joker“-Besetzungsliste auf zwei geführte De Niro fungiert bereits als Neben-, nicht zweiter Hauptdarsteller. Auch das wird Phoenix beim erstmaligen Lesen des Drehbuchs aufgefallen sein. So einen Film kriegt er vielleicht nie wieder.
Sein furchteinflößendster Moment ist der, in dem sein Joker vollends zum Joker wird und endlich tanzt, mit der klassischen Freeze-Pose eines Clowns am Ende, Mund aufgerissen und die rechte Handfläche zum Gruß erhoben: „Hi!“.
Dann gebt Joaquin Phoenix doch endlich den Oscar.