M. Night Shyamalan :: Glass

Mit dem Abschluss seiner „Superhelden-Trilogie“ gelingt M. Night Shyamalan das Kunststück, Comic-Figuren in den Himmel zu heben – und gleichzeitig das Genre zu persiflieren.

Der entscheidende Moment in M. Night Shyamalans letztem Film „Split“ war nicht derjenige, in dem Kevin Wendell Crumb (James McAvoy), geplagt von multipler Persönlichkeitsstörung, seine Person Nummer 24, „Das Biest“, auf mörderischen Streifzug schickte. Es war der Moment, als sich die Berufsblindheit seiner Psychiaterin Dr. Fletcher (Betty Buckley) offenbarte. Sie malte sich Schizophrenie als „Portal zum Übersinnlichen“ aus. Ihre Einsicht „ich hätte besser zuhören können“ besänftigte das Biest jedoch nicht, das Monster erledigte auch sie.

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Mit „Glass“, dem Abschluss seiner so genannten „Eastrail 177“-Trilogie, begonnen im Jahr 2000 mit „Unbreakable“, zerlegt Shyamalan weiter die Welt der Psychiatrie. Bei ihm bilden Therapeuten eine verschwörerische Gemeinschaft, ihre Theorien sind Lügengebilde. Gleichzeitig gelingt dem Regisseur etwas, das zuvor nur der Groteske „Deadpool“ gelang. Er stellt die potenten Superhelden als ultimative Vorbilder dar – und persifliert deren Welt gleichzeitig als absolut berechenbar.

Die Kritik enthält Spoiler, aber keine Hinweise auf Twists

Es ist eine Welt voller klischeehafter Attribute („der Held wider Willen“) und einem klassischen Schlusskampf, einem Boss Fight mit Dialogen wie zwischen General Zod und Superman („Du wirst vor mir niederknien“), mit komplettiert aufmarschierendem, ziemlich unnatürlich zusammenfindendem Hauptfiguren-Ensemble, wie Mr. Glass (Samuel L. Jackson), der die Gedanken der Zuschauer als quasi-offizieller Sprecher verbalisiert, süffisant herausstellt.

Sind Superkräfte Einbildung?

Die drei Superhelden Philadelphias, der Gestaltwandler Kevin Wendell Crumb, der nahezu unsterbliche David Dunn (Bruce Willis) und der vielleicht klügste Verbrechensstratege der Welt, Elijah Price alias Mr. Glass, befinden sich, gefangengenommen, in der Psychiatrie. Die Ärztin Ellie Staple (Laura Paulson) versucht ihnen klarzumachen, dass sie keine Superhelden seien. Zunächst setzt sie bei neutralisierender Terminologie an (Begabungen seien „Einbildung“ der „Individuen“). Später greift sie zu Methoden, die man schon aus der Medizin grauer Vorzeit, nicht erst seit „Einer flog über das Kuckucksnest“, kennt: Operation am Frontallappen des Gehirns. Noch heute ist von „Frontallappen-Persönlichkeiten“ die Rede, falls Menschen permanente Unberechenbarkeit zeigen.

Fast unverzeihlich ist ihr Versuch, Dunns Sohn Joseph (19 Jahre älter als in „Unbreakable“ und auch hier heimlicher Star des Films: Spencer Treat Clark) jene Vorbildfunktion auszureden, die der Vater bis heute für das Kind einnimmt. Dessen Rekorde im Gewichtheben, sagt sie, seien kein Effekt der Superkräfte, sondern trainiertes Vermögen eines normalen, halt starken Mannes. Casey Cooke (Anya Taylor-Joy, wieder aus „Split“ dabei) will die Ärztin verbieten, mit ihrem einstigen Peiniger Crumb zu sprechen: „Du bist das Opfer, das geht nicht“. Hinter diesem womöglich antitherapeutischen Ansatz steckt zwar eine spezielle Motivation der Psychiaterin, die sich am Ende (einer von mehreren „Shyamalan-Twists“) noch offenbaren wird.

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M. Night Shyamalan konzipierte seine mittleren Werke, also die massiv unverstandenen, auch als Abrechnung mit Kritikern. In „Lady In The Water“ von 2006 lässt er einen seiner eigenen Rezensenten gar von einem Wolf aus der Hölle zerreißen.

„Glass“ wird ihn zwar in die A-Liga zurück katapultieren, er dürfte wieder so begehrt werden wie zuletzt mit „Signs“, also wie Anfang der Nullerjahre. Aber seine Wut ist geblieben. Der 49-jährige versteht „Glass“ als Abrechnung mit allen, die Fantasy als Realitätsverweigerung betrachten. Mit den Gesetzen der Empirie muss man Shyamalan nicht kommen, und seinen Superhelden erst recht nicht. „Doctor tells lies“ wird zum Mantra dieses Films, der über weite Strecken in einer geschlossenen Anstalt spielt, und man könnte dessen Insassen, auch die Mörder, als Opfer sehen.

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Spoiler

Shyamalan führt uns an der Nase herum: Wir spüren die Persiflage dieser Comic-Welt, die Künstlichkeit, und doch glauben wir gerne den Versprechungen, obwohl sie zu hohl wären, als dass sie wahr werden könnten. Mr. Glass kündigt einen Kampf der Superhelden Dunn und „The Beast“ während der ERÖFFNUNG DES HÖCHSTEN GEBÄUDES PHILADELPHIAS an, auf dem „Osaka Tower“, außerdem, dass er dort Giftgas auf die Zuschauer loslasse, also den Massenmord plane. Klingt wie ein Marvel-Abenteuer mit Weltuntergangsdrohung, wie mit Iron-Man, Thor und Spidey? Die Wolkenkratzer-Zeremonie bezeichnet Shyamalan auf einem Magazincover ja schon als „true marvel“. Ein gelungener Seitenhieb. David Dunn ist von der Drohung Glass‘ dennoch derart schockiert, dass er eine Eisentür einrennt.

Erst spät merken wir, dass sich der „Big Fight“ von Dunn und Beast nicht in luftigen Höhen abspielen wird, sondern auf der Auffahrt des Krankenhauses, die zur Theaterbühne wird. Glass hat also nicht nur Dunn reingelegt.

Nur gelegentlich gibt es in „Glass“ Abgrenzungsschwächen zu den Klischees, die Shyamalan eigentlich mit spitzen Fingern anfassen wollte. Es gibt, selten genug bei diesem Regisseur, Vorhersehbarkeit: Wer eingesperrt ist wie die drei Helden, muss natürlich irgendwann ausbrechen, und natürlich geht das über den raffiniert eingefädelten Überraschungsmord an den Pflegern. Etwas zu häufig auch landet das an der Zimmerdecke kletternde „Biest“ wie ein Eiszapfen exakt vor oder hinter seinem Opfer auf den Füßen: Ta-da! Schock-Landung. Aber das einmal zu sehen, wie in „Split“, reicht eigentlich.

Dies ist der Film von Elijah

„Ich betrachte die Comics als Dokumentation von tatsächlicher Geschichte“, sagt Mr. Glass, der, dem Filmtitel entsprechend, zur Hauptfigur erhoben wird. Das Mastermind ist diesmal nicht nur zu genialer Taktik, sondern auch Action fähig – einige für ihn entscheidende Sekunden haben tatsächlich mit der Verwendung von Glas zu tun. Elijahs Hochform jedoch hat Auswirkungen auf die Präsenz anderer Charaktere, was verhindert, dass „Glass“ zu einem sehr  guten Film wird.

Spoiler-Bereich

Anya Taylor-Joy, in „Split“ weit mehr als lediglich ein final girl, dient hier nur als Schlüsselfigur um die Urpersönlichkeit des Kevin Wendell Crumb zu erreichen, auf der gefühlsbetonten weiblichen Ebene. Solche Stereotypen verwendet Shyamalan sonst nicht. Noch erstaunlicher sind die Abwertungen von Willis‘ David Dunn und McAvoys Crumb. Natürlich hat Dunn am meisten Ähnlichkeit mit dem „Superman“, nicht nur wegen seiner einzigen Schwäche, die ausgerechnet mit dem wichtigsten Naturelement des jeweiligen Heimatplaneten zusammenhängt; für Superman das Kryptonit vom Planeten Krypton, für Dunn das Wasser unserer Erde. Sondern auch, es deutete sich in „Unbreakable“ an und kommt hier vollends zutage: Dunn ist ein wenig farblos. Halt wie Superman. Zu ehrenhaft, zu mächtig.

McAvoy überzeugt zwar mit Darstellungen der multiplen Persönlichkeit, besonders sein erstmals zum Vorschein kommender, aber nur kurz aufblitzender britischer Professor ist derartig grandios, dass man ihn jetzt schon vermisst. Zu den Pennern in der Gosse sagt Crumb „ich bin wie ihr!“, ein Niemand, ein Ausgestoßener. Und Crumbs letzte Entführungsopfer waren Cheerleader: Die würden einen wie ihn normalerweise nicht mit dem Arsch angucken. Es ist die Rache an denen, die über ihm stehen.

Aber Crumb, der Held von „Split“, wird in „Glass“ dann doch nur zu einem Handlanger von Mr. Glass. Entmachtet.  Diese drei Superhelden, Crumb, Dunn und Glass, sind im Finale nicht mehr gleichberechtigt. McAvoy verdient für seinen „Crumb 24“ jeden Preis. In den Darsteller-Credits wird McAvoy auf der Eins geführt, vor Willis, Paulson und Jackson. Doch seine Figur fällt ab, Shyamalan tariert die Kräfte nicht perfekt aus. Und das in einem Film, der mit rund 130 Minuten Spieldauer sein längster ist.

„Stay proud“, sagt der Pfleger zu Mr. Glass vor dessen vermeintlicher Lobotomie. Nicht der einzige Verweis auf afro-amerikanische (Sprach-)Kultur. „You was spectacular!“, versichert Elijahs Mutter dem schwarzen Superhero.

Liebe ist eine konstante, sogar die wichtigste Dimension in Shyamalans Schaffen. Selbstwirksamkeitserwartung, vermittelt durch ein starkes Familienbündnis. „Du bist der Beste“: Jeder, der diese Worte vernimmt, von seinen Eltern oder seinen Kindern, hat Glück. So wird man zum Helden.

Vielleicht ist deshalb auch ausgerechnet der Flashback zu „Unbreakable“ der bewegendste Moment von „Glass“.  Tränen fließen über das Gesicht des jungen Joseph. Sein Vater hat bewiesen, dass er ein Superheld ist, alles hochheben kann, was er will, dass nichts Einbildung des Kindes war. Der Sohn spürt die Bürde, dieses Geheimnis für sich zu behalten. Aber er ist auch unfassbar stolz auf Daddy.

Man muss keine Spinnweben aus dem Handgelenk verschießen können oder die Schwerelosigkeit besiegen. Superhelden: alles eine Sache der Definition. Und das ist ein ziemlich gutes Gefühl.

Hinweis: Den deutschen Wikipedia-Artikel zum Vorgängerfilm „Split“ sollten Sie nicht als Vorbereitung für „Glass“ lesen – dort wird der Twist, also wie die drei Hauptfiguren Price, Dunn und Crumb miteinander verbunden sind, bereits verraten.

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