Kritik: „Avatar – The Way of Water“ – So gut ist James Camerons Fortsetzung

Eine Filmkritik in elf Notizen. Worin „Avatar: The Way of Water“ punktet – und worin er enttäuscht.

Die Rezension enthält kleine Spoiler.

01. Die vielleicht größte Überraschung: „Avatar 2“ ist kein Sam-Worthington-Film, sondern ein Stephen-Lang-Film. Der Schurke, Colonel Miles Quaritch, wird zum Antihelden – die einzige Figur, die eine echte (Anti-)Heldenreise vollzieht. Verantwortlich dafür sind Quaritchs unvermutete Vatergefühle für einen kleinen Menschenjungen, Spider (Jack Champion). Das Kind weckt Zweifel in ihm, ob sein Vernichtungsfeldzug Sinn ergibt. Zuvor hatten wir Quaritch eher als eine Parodie des Joe-Dante-artigen „Small Soldier“, nur in aufgeblasen, kennengelernt.

Bewertung: 4/5

02. „The Way of Water“ ist dementsprechend, abgesehen von „Das Imperium schlägt zurück“, der erste Revenge-Streifen, der auf Blockbuster-Niveau nicht nur die Story eines good soldiers, sondern auch die Story eines Bösewichts erzählen darf. Im ersten „Avatar“-Film ging es um die Ausbeutung eines Ökosystems, das aus neuronalen Meganetzen besteht. In der Fortsetzung spielt das keine Rolle mehr. Es geht um viel kleinere Dinge. Der Film hat vielleicht keine Story, aber die immerhin erzählt er gut. Alles dreht sich um den Zweikampf zwischen dem Colonel und seinem Corporal, von dem er sich betrogen fühlt. Die Privatfehde erhält Top-Priorität für die „Himmelsmenschen“, die Tyrannei über eine neue Lebenswelt kommt second.

3/5

03. „Avatar“ zeigte die Errettung eines Querschnittsgelähmten, der als blauer Riese nicht nur einen Superkörper, sondern auch Superkräfte erhält. Das war nicht unproblematisch, suggerierte die ersehnte Verwandlung in einen Avatar doch, dass nicht alle Körperlichkeiten gleich viel wert seien. Der von Sam Worthington gespielte Protagonist ist die einzige Schwachstelle in diesem Ensemble. Er ist der zeternde Vater einer Großfamilie, der ständig fliehen will, ständig an seinem Zweitgeborenen rummäkelt (und ihn ausgerechnet erst dann als vollwertig akzeptiert, nachdem der ihm das Leben rettet) und von seinem Kontrahenten Quaritch darauf hingewiesen werden muss, dass er die Tötung unzähliger Na’vi hätte verhindern können, wenn er sich von Anfang an allein zum Duell gestellt hätte. Quaritch begründet seinen Hass auf den ehemaligen Soldaten mit dessen Ermordung seiner Marines, seinen „Söhnen“. Dieser Gedanke ist neu. Und für diese Figur als ein Movens, das in Teil 1 schon keine Rolle gespielt hat, wenig überzeugend. Quaritch war nie ein Teamplayer.

2/5

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04. Zu gerne hätte man den Produktionssitzungen mit Sam „was macht er eigentlich heute?“ Worthington gelauscht. Der 46-Jährige, 2009 von Regisseur James Cameron als kommender Star gefeiert, hat nach Teil 1 keine einzige bedeutende Rolle mehr gespielt. Vielleicht hat Worthington Cameron ja gebeten, in diesem Film zumindest einmal als Mensch, nicht nur als Avatar, gezeigt zu werden, einfach, damit die Leute ihn mal wieder zu Gesicht bekommen und sein Marktwert wieder steigt. Sigourney Weaver ist ja auch als sie selbst zu sehen. Andererseits: Kate Winslet ist ebenfalls dabei, wie Worthington auch nur als Avatar, und es ist bei ihr noch weniger zu erkennen, welche der Indigenen sie verkörpert. Immerhin: Der Verzicht auf einen Sully in Menschengestalt bietet auch den Verzicht auf einen White Saviour, wie noch im ersten „Avatar“ bis auf die Spitze getrieben.

3/5

05. Zum ersten Mal seit Gollum in der „Herr der Ringe“-Trilogie (2001-2003) gibt es animierte Fantasy-Figuren, die durchgängig nicht uncanny wirken. Am besten gelungen sind nicht die blauen, sondern die blaugrünen Na’vi, die Metkayina heißen. Ronal (Kate Winslet) und Tonowari (Cliff Curtis) sowie Tsireiya (Bailey Bass), eine Mischung aus Disney-Lilo und Aloha from Hawaii, sehen nicht nach CGI-Pixeln aus, sondern wie echte, aber auch verwandelte Menschen.

5/5

06. Will man darlegen, dass Baddies sich keine Ruhepause gönnen, gibt man ihnen etwas in die Hand, das zunächst kontraintuitiv erscheint: eine Kaffeetasse. Die wirkt beruhigend. Sowohl Colonel Quaritch als auch seine Vorgesetzte, General Frances Ardmore (Edie Falco), nippen von der Kommandozentrale aus an ihrer heißen Brühe, während ihre Kampfflieger Jagd auf Pandora-Wale machen. Soll heißen: Was ich auch tue, ich arbeite, und ich habe stets nur mein Ziel im Sinn.

4/5

07. Der Super-Wal von Pandora bedient auch die uns Erdenbürger innewohnende Fantasie, dass es auf dem Planeten Lebewesen gibt, die doch klüger sein könnten als Homo sapiens. Das tut gut, denn es hilft uns, uns nicht zu wichtig zu nehmen, unseren Platz im Ökosystem zu kennen. Die Menschen nehmen den Platz jener Kreaturen ein, die auch Tolkien im „Herrn der Ringe“ für sie reservierte: Sie sind dreckige, krakeelende, anthropologische Kuriositäten. Die Söldnertruppe Quaritchs sieht auch inkognito, als Avatartruppe, hässlich aus.  Die Elfen (hier: Na’vi) sind die Edelwesen.

4/5

08. James Cameron ist der König des Actionfilms. Er ist der Erfinder des 4. Akts. Das bedeutet, dass auf das Finale einfach ein weiteres Finale folgt – bekannt aus „Aliens“, „Terminator 2″ und „The Abyss“. Auch der abschließende Kampf auf einem Tanker reiht Höhepunkt an Höhepunkt, Parcour an Parcour und Hand-to-Hand-Combat an Hand-to-Hand-Combat. Diese Fight-Kaskade beginnt 50 Minuten vor Filmende – man ahnt zu diesem Zeitpunkt also gar nicht, dass es dann bereits um alles geht. Allerdings hätte sich Cameron, der auch das Drehbuch mitschrieb, mit der Zielführung, den Ursachen für die Actionszenen etwas mehr Mühe geben können. Jede Kampfhandlung – es gibt vier große Set Pieces – beruht auf derselben Ausgangssituation: Die vier Sully-Kinder tun Dinge, die sie nicht tun sollten, Vater Sully muss sie dann, gemeinsam mit seiner Frau Neytiri (Zoe Saldana), rausboxen. Das führt zu ermüdenden Wiederholungen: Die Handlung entwickelt sich nur dann weiter, wenn Verbotenes getan wird. Hätte der pedantische Patriarch Sully seine Autorität jedesmal vorab durchsetzen können, die Kids im Griff, gäbe es Frieden – aber dann hätten wir auch keinen Film.

3/5

„The Abyss“ in der Kritik:

09. Eine weitere Story-Schwäche: Mit dem Menschen-Ziehkind Spider gibt es ein Familienmitglied, das – wir werden an dieser Stelle nichts spoilern – am Ende sehr, sehr böse auf Stiefmutter Neytiri sein sollte. Ein klärendes Gespräch zwischen den beiden wäre zwingend gewesen. Cameron sah das erstaunlicherweise nicht so. Überhaupt fiel der Junge, nachdem er in Gefangenschaft Quaritchs geriet, etwas zu schnell um.

2/5

10. „Einen Großteil meines restlichen Filmlebens, vielleicht mein gesamtes restliches Leben als Filmregisseur“, sagte James Cameron, „werde ich mit meinen ‚Avatar‘-Fortsetzungen verbringen.“ Vielleicht hat den 68-Jährigen diese Zukunftsaussicht nostalgisch gestimmt, denn gerade der 4. Akt wirkt auch wie eine kleine Würdigung seiner Filme „Titanic“ von 1997 und „The Abyss“ von 1989. Wir sehen zwei Na’vi-Kinder, die sich, wie einst Rose und Jack, auf das letzte Stück Schiff legen, das von dem riesigen Meereskreuzer noch übrig geblieben ist und auch gleich sinken wird. Sully und sein Zweitgeborener Lo’ak (Britain Dalton) wiederum machen Atemtraining in höchster Not, um mit genug Luftreserven den Aufstieg vom überfluteten Unterdeck aus zu schaffen – eine Hommage an Virgil (Ed Harris) und Lindsey (Mary Elizabeth Mastrantonio), die einst, um nicht zu ertrinken, an einer gewissen Überlebenstechnik zu feilen versuchten und damit für den krönenden Moment in Camerons Filmografie sorgten.

4/5

„Top Gun: Maverick“ in der Kritik:

11. Ein Wettkampf bei den nächsten Oscars kündigt sich an, zumindest in der Kategorie „Visual Effects“. Es geht um eine Grundsatzentscheidung. Werden die Practical Effects von „Top Gun: Maverick“ honoriert, also der echte Tom Cruise in echten Mach-Tausend-Kotzbombern, oder diese hier zu sehenden, fantastischen F/X-, Live-Action- und Performance-Capture-Tricks. Oldschool gegen New School, das Comeback der 1980er gegen die Neuzeit. Beide Werke sind, wie man so pathetisch sagt, „für die große Leinwand gemacht“. „The Way of Water“ dürfte in dieser Kategorie bei den Academy Awards siegen – „Top Gun“ dafür in Kamera, Schnitt, Ton und Ton-Schnitt. Wobei der Kampfpiloten-Film nicht mal in 3D gedreht werden musste, um zu überzeugen. Der weit konservativer als „Avatar“ inszenierte „Dune“ von Denis Villeneuve, mit seiner geradezu statischen Darstellung von Gefechten, ob von Fußsoldaten oder mit Raumschiffen, wurde schließlich auch mit dem Effekte-Oscar prämiert. Es ist verblüffend, wie dominant doch James Cameron wieder das Feld anführen kann, hat er doch mit „The Way of Water“ seinen ersten Film seit 13 Jahren gedreht.

5/5

 

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