Kriegerin :: Regie: David Wnendt
Zwischen Klamotte und Kunstfilm hat das deutsche Kino noch immer nicht sein emotionales Gleichgewicht gefunden. Trotz der hoffnungsvollen Entwicklung der vergangenen Jahre wirkt es zu verklemmt, so als traue es sich nicht dorthin, wo es wirklich wehtut. Die sogenannte Berliner Schule um Christian Petzold mag ihre brillanten Momente haben, verleitet etliche Regisseure allerdings zu einem arg gekünstelten Stil. Hierzulande scheint alles intellektuell durchdacht, eher leise als wild, zumindest irgendwie von kühler Poesie umrahmt zu sein.
In David Wnendts Regiedebüt, das zugleich sein Diplomfilm an der Filmhochschule Potsdam ist, kommt man kaum zum Nachdenken. Man wird nach einem kurzen ruhigen Prolog von der Wucht geradezu überwältigt. Die junge Marisa (Alina Levshin) zieht mit ihrer Clique pöbelnd durch einen Regionalzug. Ihre langen strähnigen Haare sind teils geschoren, die Arme sind tätowiert, auf ihrem Shirt steht „Nazibraut“ in Runenschrift. Im Gang macht sie zackig den Hitler-Gruß. Mehr Provokation geht nicht. Weil ihr Freund Sandro (Gerdy Zint) einen Asiaten zusammenschlägt, wird der glatzköpfige Hüne wenig später im Haus ihrer Mutter verhaftet. Zuvor hatten die beiden Sex mit einer Aggressivität, als würden zwei Skorpione miteinander ringen.
Mit permanent angespannter Körperhaltung, steinernem Gesichtsausdruck, misstrauischem, fahrigem Blick und weit ausholenden Schritten rennt die 20-Jährige durch die ostdeutsche Kleinstadt wie ein offenes Klappmesser. Sanft, ja verletzlich wirkt sie nur beim Besuch des Großvaters im Krankenhaus. Der hat ihr als Kind schon eingetrichtert, sie müsse hart sein und auf die Juden achten. Das ist der einzige, aber sicher kein zufriedenstellender Erklärungsversuch dafür, warum in diesen Jugendlichen ein derartig gewalttätiger Hass auf Menschen aus fremden Kulturkreisen gärt. Aber selbst Aussteigern aus der rechtsradikalen Szene fällt ja heute in Talkshows meist nur ein, sie seien damals einfach große Arschlöcher gewesen. Es ist eine hilflose Entschuldigung für etwas, das sie selbst nicht verstehen.
Und so nimmt auch Marisas Leben keine geistige, sondern eine emotionale, fast schon instinktive Wende, als sie mit dem Wagen zwei Moped fahrende Asylbewerber aus Afghanistan von der Straße drängt. Als die beiden reglos im Straßengraben liegen, ist sie über sich selbst erschrocken. Einem der beiden, Rasul (Sayed Ahmad), begegnet sie einige Zeit später wieder, doch ihr Schuldgefühl bleibt. Sie besorgt ihm Lebensmittel, um ihn loszuwerden, lässt sich gar überreden, für ihn bei Verwandten in Schweden anzurufen. Sie fürchtet, von ihren Kumpeln ertappt zu werden, entfernt sich nach jedem Treffen mit Rasul jedoch unmerklich von ihnen. Schließlich kommt es zu einer tragischen Eskalation.
Parallel stößt die 15-jährige Svenja (Jella Haase) zum Kreis. Ihre Initiation beginnt, als sie, befeuert von Neugier und Faszination für die martialischen Töne und wüsten Rituale, mit einem der Halbstarken anbändelt. Der Flirt mit der Gewalt mündet in der Rebellion gegen den Vater, der sie mit drastischen Erziehungsmaßnahmen vom Rauchen abhalten will. So einfach, gedankenlos, unschuldig kann man auf die schiefe Bahn geraten.
David Wnendt urteilt in „Kriegerin“ nicht, sondern führt mitten durch das exzessive, brutale, konfuse Umfeld. Er inszeniert Marisa als Identifikationsfigur, deren Zerrissenheit von Levshin mit bis zum Anschlag spürbarer Physis verkörpert wird. Und in manchen Momenten in diesem fabelhaften Film zeigt sie uns mit ihrer Fragilität, wo es wirklich wehtut.