Konstantin Wecker
Zwischenräume – Die Studio-Aufnahmen 1973-87
Opulente Werkschau mit Studio-Alben und Live-Aufnahmen
Heute nicken nur noch die Älteren wissend, wenn die Rede ist von „Wieder dort sein“, „Ich möchte etwas bleibend Böses machen…“, „Ich lebe immer am Strand“, von „Der alte Kaiser“ und „Frieden im Land“. Vom „Willy“ hat auch der Nachgeborene vielleicht einmal gehört, jenem Mordprotokoll und Nekrolog, der Konstantin Wecker 1977 berühmt und bald notorisch machte, sehr zu Recht und nicht zum Besten seiner Kunst. Der Lustlackel, der Sänger des Sensualismus, der Dichter des Barocken und Lebensprallen wurde leider auch zu einer beliebten Skandalfigur des Boulevards, provozierte eher mit unstillbarem Lebensappetit und bajuwarisch-toskanischem Hedonismus als mit den doch eher politisch korrekten Bedenkenliedern späterer Jahre.
Nun ist Wecker 60 Jahre alt geworden – niemand sage, er stehe „voll im Saft“! -, und zwei Kartons voller CDs sind seinem Schaffen gewidmet, die dem Gargantua angemessen erscheinen: „Zwischenräume“ versammelt die Studio-Alben von 1973 bis 1987, Filmmusiken und Raritäten auf sieben CDs sowie eine DVD mit einem Solo-Konzert aus dem Jahr 2005. „Alle Lust u’tll Ewigkeit“ enthält Live-Aufnahmen auf zehn CDs. Beiden Boxen sind voluminöse Bildund Textbände beigegeben, in denen Hans-Peter Taubitz nicht blindlings lobhudelnd und festredend den Künstler würdigt – samt einigen schönen Reminiszenzen an jenen Abend im Münchner Circus Krone, als Wecker nicht aufhören wollte, und dezidierten Einschätzungen der Wecker-Lieder. Unverständlich allerdings, dass sogar die Aufnahmen der späteren 70er Jahre knistern, als wären es die Schallplatten von damals.
Was für eine Herkules-Arbeit, was für ein Werk aber auch! Als ehrgeiziger Bursche begann der Musiker seine Platten-Karriere mit den „Sadopoetischen Gesängendes Konstantin Amadeus Wecker“ – ihm selbst hätten die „Poetischen Lieder des Konstantin Wecker“ genügt (den Amadeus hatte die Plattenfirma hinzugedichtet). Das Album ist eine ergötzliche Sammlung von makabren und schwarzromantischen Dichtungen, oft sprechend vorgetragen, manchmal mit wunderbar altertümlicher Instrumentierung. Die Todesversessenheit, das Morbide von „Der Lindenbaum“, „Mein linker Arm“, „Die Tote“ verdanken sich zu einem guten Teil Gottfried Benn, neben Bertolt Brecht und Francois Villon der Altarheilige des wüstenjungen Songschreibers. Das Titellied von „Ich lebeimmeram Strand“ (1974) ist Benn gewidmet. Der später weltberühmte Produzent Harold Faltermeyer war dazu abgestellt worden,
die Weckerschen Gesänge etwas populärer zu arrangieren, und wurschtelte also zwischen Schlager, Swing und Kabarett herum. Auf „Wecker Leucriten“ (1976) hatte Wecker seinen Ton, sein Instrumentierung beinahe vollständig realisiert – „Liebeslied“, „Wenn der Sommer nicht mehr weit ist“, „Du bist so hässlich“ und „Ich hab zum Sterben kein Talent“ sind stupende Talentproben eines eklektischen Genies, dessen Wissen um Lyrik heute ebenso unterschätzt wird wie sein Klavierspiel und die oft kammermusikalischen, klassizistischen und kunstliedhaften Arrangements. Landläufigen Kneipen-Blues, Gebrauchs-Jazz und Rockmusik gab es bei Wecker nie.
Das programmatische und leider allzu oft zitierte „Genug ist nicht genug“ brachte Wecker im deutschen Schicksalsjahr 1977 in den „Spiegel“; die Tourneen waren jetzt ausverkauft. Ein einziges Lied, das vom erschlagenen Willy (kriminalistisch ein unwahrscheinlicher Fall von Wirtshausschlägerei), war in seiner schäumenden, hysterischen Vortragsart so unvergesslich, das Wecker noch 1980, zum Einstand von Dieter Hildebrandts „Scheibenwischer“, das Stück spielte. Und dann lieber nicht mehr. „Eine ganze Menge Leben“ (1978) ist möglicherweise Weckers größtes Album; musikalisch abenteuerlich, in der Sprache deftig u nd gewitzt: „Es ist schon in Ordnung“ und „Ich liebe diese Hure“, „Totgeboren aber nicht verloren“, „Hexeneinmaleins“ und „Waidmannsheil“ muss man wieder einmal hören, um zu ermessen, warum Wecker einerseits Bürgerschreck war, andererseits kultisch verehrt wurde.
Den Münchner, der so oft die Stätten und Gerüche seiner Kindheit im Lehel beschwört, zog es dann in die Toskana, für ihn der Inbegriff künstlerischer wie libidinöser Freiheit. „Liebesflug“ (1981) mit seinen Streicherund Bläser-Arrangements und dem manierierten Gesang wurde dann skeptisch aufgenommen, und auf „Das macht mir Mut“ (1982) wiederholt Wecker lieb gewonnene Topoi, laviert zwischen Privatem und Politischem, oft elegisch geworden, grüblerisch, gar nicht mediterran besonnt, von seinem Team Musikon steil zwischen Pomp und Ballade, Fanfaren und Chanson instrumentiert. Während das oft schmerzlich berückende „Wecker“ im selben Jahr meistens schlichte Klavier-Töne anschlägt. „Inwendig warm“ (1984) wirkt wie aus der Zeit gefallen, Wecker selbst wie ein atavistischer, melancholischer Wüterich: „Mei, was is bloß aus mir wordn“, „Was passierte in den Jahren“. „Wieder dahoam“ (1986), das bayerische Album, war eine Selbstvergewisserung, nachdem Wecker das mediterrane Dolce vita zeitweilig aufgegeben hatte.
Es ist schier unmöglich, all die Live-Platten zu beurteilen, die Wecker über die Jahrzehnte aufgenommen hat. Das Konzert im Hamburger „Onkel Pö“ (1975), „Live“ (1979) und der legendäre Auftritt „Life in Muenchen“ (1981) sind vielleicht die bedeutendsten. „Alle Lust will Ewigkeit – Die Live-Aufnahmen 1975-1987“ (3,5) ist eine Anthologie für Komplettisten, die Weckers Programme bis in die Verästelungen studieren (und womöglich die eigene Erinnerung an lauschige Abende daran abgleichen) wollen. Streng genommen, endet der Reigen nicht im Jahr 1987, denn ein neu aufgenommenes Klassiker-Repertoire, „Stationen“, ergänzt die Werkschau. Und hier ist auch wieder „Willy“ (als „Mix“) zu hören.
Wie charmant und wie verschmitzt und geistesgegenwärtig Konstantin Wecker noch immer ist, wenn er am Piano sitzt, das zeigt die Aufzeichnung eines Konzerts in der Schweiz, 2005, unter dem Titel „Am Flussufer“ (auf der DVD): Schon wahr, manchmal ist er wohlfeiler Kabarettist, Zeitkritiker, Mahner zur Stille und zum Zu-sich-Kommen. Doch was für ein erfahrungssatter, sehnsüchtiger, trauriger, romantischer, liebestrunkener, todesfürchtender und scharfsichtiger Poet ist der Autor von „Das ganze schrecklich schöne Leben“, „Lass mich einfach nicht mehr los“ und „Wenn der Sommer nicht mehr weit ist“!