Kettcar

„Gute Laune ungerecht verteilt“ – Erwartung erfüllt

Grand Hotel van Cleef (VÖ: 5.4.)

Bei Kettcar haben sich eine Menge Fragen angehäuft, verpackt in kraftvollen Indie-Rock.

Es dauert genau eine Minute, bis man Kettcar unbedingt umarmen möchte. Die Vorabsingle „München“ war mit ihren überdeutlichen Anti-Rassismus-Bildern gar nicht mal so stark, aber nach fast sieben Jahren Pause singt Marcus Wiebusch im ersten Song des sechsten Albums dann dies hier: „Interview, Promo-Tage, Kommentieren der ganzen Lage/ Wichtig, dass man sich verhält, wichtig, dass man Haltung zeigt/ ‚Unser politischstes Album seit …‘/ Oh bitte, ich bin ganz kurz eingeschlafen.“ Schon der Songtitel „Auch für mich sechste Stunde“ spielt die größte Stärke der Band aus: Kennen wir das nicht alle, dieses Gefühl, sich jetzt leider noch mal konzentrieren zu müssen? Eigentlich keinen Bock mehr, aber doch was beweisen müssen. Überforderung, Erschöpfung.

Kleine Bollwerke gegen die Verzweiflung

Es sind oft nur Satzfetzen und kleine Szenen, Andeutungen und Assoziationen, aus denen Reimer Bustorff und Marcus Wiebusch kleine Bollwerke gegen die Verzweiflung zusammen schrauben. Gerade weil sie nicht vorgaukeln, etwas besser zu wissen. Und weil ihr Indie-Rock so kraftvoll ist, aber nie Dringlichkeit mit billigem Pathos verwechselt. In „Doug & Florence“ singen sie ein Loblied auf Paketzusteller und Pflegerinnen, in „Kanye in Bayreuth“ verabschieden sie all die Künstler, die wir nur noch mit schlechtem Gewissen hören könnten, also lassen wir es lieber. Oder?

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Es bleibt schwierig, eben so beim „Einkaufen in Zeiten des Kriegs“. Dazwischen mit „Rügen“ eine grandios schonungslose Bestandsaufnahme von Familienleben, mit „Was wir sehen wollten“ eine berührende Krankengeschichte, mit „Blaue Lagune, 21:45 Uhr“ eine Art neues „Bonnie & Clyde“. Zum Schluss, in „Ein Brief meines 20jährigen Ichs“, fällt die Bilanz gar nicht so schlimm aus, auch wenn unsere Generation-X-Welt langsam versinkt: „In jedem grauen Haar, in deinem Eigenheimsparplan, dem Kitsch in deinen Texten, deinen Falten im Gesicht sehe ich: Du hast immer noch die gleiche Angst wie ich!“ The only thing to fear is fear less ness. „Und du tust, was du musst/ Und du hoffst, dass es langt.“ Es gibt keine Antworten auf diesem Album, dafür viele Fragen – und das Gefühl, dass wir es gemeinsam trotz allem vielleicht noch schaffen können. Und wenn nicht, dann möchte ich mit Leuten wie Kettcar im letz ten Boot sitzen. Das langt.