Keith Richards
Crosseyed Heart
Virgin/Universal
Zurückgelehnt und mit etwas zu vielen Balladen: Der Stones-Gitarrist liefert nach 23 Jahren mal wieder ein Soloalbum ab
Ein kleines Jubiläum: Seit 30 Jahren gibt es die Glimmer Twins auch getrennt. Da erschien nämlich Mick Jaggers erstes Soloalbum, „She’s The Boss“. Wenn man kein Komplettist ist, kommt man sehr gut ohne diese Platte aus. Wie jede gute Band mussten auch die Stones, so war man sich damals schnell einig, mehr als die Summe ihrer Mitglieder sein, und ein Stone alone rollt dementsprechend einfach nicht so gut. Aber ganz so einfach ist es nicht, denn Jaggers „Wandering Spirit“ (1993) beispielsweise hatte mehr Zunder, Richards’ „Talk Is Cheap“ (1988) und der räudige Nachfolger, „Main Offender“ (1992), hatten mehr Dreck unter den Nägeln als das von Don Was etwas zu penibel in Szene gesetzte, oft ein wenig formelhafte Wir-sind-immer-noch-die-bösen-geilen-Jungs-von-früher-Spätwerk der Stones.
Insgeheim traut man Richards ein gelassenes Alterswerk wohl eher zu als dem zu eitlen Modernismen neigenden Jagger. Ob mit den Stones oder seiner Zweitband, The X-Pensive Winos: Er hält zu seiner alten Jugendliebe, der amerikanischen Musik. Zur Eröffnung seines ersten Soloalbums in 23 Jahren verschenkt er sein schielendes Herz an den akustischen Blues. „That’s all I’ve got“, sagt er am Ende beiläufig, als er die Gitarre abstellt. Stimmt natürlich nicht, denn nach dem schön verschluderten Einstieg schießen die Gitarren von Richards und Waddy Wachtel in „Heartstopper“ aus allen Rohren, Ivan Nevilles Klavier gibt Struktur, und Keiths Stimme trifft sogar die Höhen, sodass man über den reichlich bescheuerten Text gern hinwegsieht („She’s a vegetarian, but me, I love my meat/ She likes it when it’s cool, but I just love the heat“). Man weiß ja, was er meint.
Die meisten Stücke hat Richards, wie schon bei früheren Winos-Platten, mit Schlagzeuger Steve Jordan geschrieben. Das groovende „Amnesia“ klingt allerdings eher nach Jagger/Richards, und der alte Freund Bobby Keys bläst dazu ein vorletztes und, später, im schwülen „Exile“-Rocker „Blues In The Morning“, ein letztes Mal in sein Saxofon. Im hübsch countryesken „Robbed Blind“ singt angeblich Aaron Neville mit, dem lässigen „Trouble“ fehlt eigentlich nur Charlie Watts zum späten Stones-Klassiker. Dann lehnt Richards sich zurück, gibt Reggae, Soul, Gospel und die eine oder andere Ballade zu viel (in einer singt Norah Jones), sodass man das schöne Cover von „Goodnight Irene“ fast verschläft. Mit „Substantial Damage“ zieht er das Tempo noch mal an und klingt fast so schön altersirre wie Mark E. Smith. Dann zuckelt „Crosseyed Heart“ mit „Lover’s Plea“ zu Memphis-Bläsern und Spooner Oldhams E‑Piano dem Ende entgegen.
Ein Album aus einem Guss ist dieses über vier Jahre bei verschiedenen Sessions entstandene Werk am Ende leider nicht geworden. Daran, dass Keith Richards ein Typ aus einem Guss ist, besteht natürlich kein Zweifel.