Kanye West

Yeezus

Def Jam / Universal

Kanye West geht in den Laden und sucht sich aus, was ihm gefällt. Mit dieser Methode bestückt der Rap-Star nicht nur seinen Kleiderschrank, sondern auch seine Musik. Möglich macht beides ein geschätztes Jahreseinkommen von 45 Millionen US-Dollar. Copyright, Tantiemen, Lizenzen – egal. Der Rap-Millionär hat die Möglichkeit zu sampeln, wie er gerade lustig und es seinen Songs nützlich ist.

Künstlerische Freiheit kann man sich kaufen. Talent und Können nicht. Das Sampling auf dem neuen Album „Yeezus“ trägt deutlich Kanyes Handschrift – eine Zutat seines Erfolgsrezepts. Ungarischer Prog-Rock, indische Filmmusik, Glam Rock oder US-Old-School-Hip Hop – wenn es seine Songs voranbringt, kennt er keine Berührungsängste, mit keinem Genre.

Er hat Ohren für die offensichtlichen Stärken und versteckten Besonderheiten der Vorlagen. Und ein Herz für Popmusik diverser Spielarten. Sein eklektisches Crate-Digging führt auf Entdeckungsreise in die aufregende, bunte Welt der Popmusik. Wobei bunt im Zusammenhang mit „Yeezus“ das falsche Wort ist.

Brachialer, heftiger, düsterer und sperriger als auf dem Vorgänger geht es zu. „Yeezus“ erlaubt keine bedingungslose Liebe auf den ersten Blick. Wummernde Bässe und schrill sägende Gitarren – Mr. West möchte mit diesem Album unbequem sein. Die Leute sollen sich nicht berieseln lassen, sondern sein Unbehagen spüren. Und seine Wut, darüber, dass die Konsumkultur für Afroamerikaner zur neuen Sklaverei wird („New Slaves“). Dabei ist der Kampf der Black Power-Bewegung offensichtlich immer noch nicht gewonnen, wenn ein schwarzer Mann und eine weiße Frau zusammen immer noch komisch angeschaut werden. Deswegen marschiert er bei „Black Skinhead“ über Drum-Samples aus Gary Glitters „Rock And Roll“ und zerstückelten Kampfschreien voraus.

„Yeezus“ ist Kanye Wests Version eines politischen Albums, das aber nicht ohne Pomp und Pathos auskommt. Und auch nicht ohne Autotune, am liebsten über Justin Vernons Stimme wie bei „Liquor“. Vernon ist einer unter vielen Gästen auf der Platte, die entweder hinterm Mischpult (Hudson Mohawke, John Legend, Daft Punk etc.) oder vorm Mikro (u.a. Charlie Wilson, Kid Cudi, Frank Ocean) Platz genommen haben. Die Gastvocals und die Songsamples, bei denen die Original-Vocal-Spur identifizierbar intakt bleibt, sind Momente um im Melodischen bis Hymnischen durchzuatmen. Thematische Ablenkung zum Liebes- bzw. Sexleben gibt es bei „Bound 2“ und „I’m In It“.

Selbst, wenn sich  Kanye bei „I Am A God“ zum Gott erhebt, passiert das nicht im gleißenden Licht, sondern inmitten düsterer Wolkensäulen. Sirenenartige Figuren zerren bei „Send It Up“ an den Nerven. Ecken und Kanten gibt es auf „Yeezus“, keine Wohlfühlmusik. Und trotzdem schält sich auch bei besagtem „Send It Up“ ein ansteckender Groove heraus. Am eindrucksvollsten kann man das bei „Blood On The Leaves“ beobachten, paradigmatisch für das ganze Album. Zwischen Kanyes und Nina Simones Stimme ergibt sich ein eigentümliches Gegenüber. Aus der bitteren Trauer ihrer Version von „Strange Fruits“, in der sie die Opfer von Lynchmorden beklagt, entsteht im Gegeneinander mit Kanyes Vocals eine Unruhe, die sich schließlich in den bedrohlich massiven Drums und Synthie-Fanfaren von TNGHTs „R U Ready“ entlädt.